Afghanistan:Das Recht auf Öffentlichkeit

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"Wenn Sie dies sehen, wenn die Welt mich hört, helfen Sie uns": Shabnam Dawram (Foto: mobile.twitter.com/shabnamdawran)

Die afghanische Fernsehjournalistin Shabnam Dawran hat den Mut, die Taliban herauszufordern.

Von Sonja Zekri

Es gibt Sternstunden journalistischen Heroismus, jeder Anfänger kennt sie: Wenn Reporter einen Text aufsagen, Fotografen ein Bild machen, Interviewer eiskalt nachfragen, unbeeindruckt von Kugelhagel oder Einschüchterungen. Shabnam Dawran hat der Mediengeschichte einen solchen Moment hinzugefügt. Sechs Jahre lang hat sie als Moderatorin für das afghanische Fernsehen gearbeitet, selbstverständlich konservativ gekleidet, selbstverständlich mit Kopftüchern in passenden Farben. Unter den Taliban darf sie nun nicht einmal mehr das Fernsehgebäude betreten. Am Mittwoch veröffentlichte sie in den sozialen Medien ein Video, in dem sie die Szene beschrieb. Wie sie nach dem "Systemwechsel" nicht habe aufgeben wollen und zur Arbeit beim Sender Radio Television Afghanistan ging, als wäre es ein ganz normaler Tag; wie sie trotz Zugangskarte nicht hineingelassen wurde, männliche Mitarbeiter aber sehr wohl. Wie man ihr mitteilte, dass sich das System geändert habe, und dass sie nach Hause gehen solle. Und dann, sehr professionell, sehr kühl und so nüchtern, als verlese sie den Wetterbericht : "Wenn Sie dies sehen, wenn die Welt mich hört, helfen Sie uns. Unser Leben ist in Gefahr."

Und genauso nüchtern und kühl muss man festhalten: Das ist es. Gefährdet sind Journalisten, wenn sie, wie jüngst, über erste zarte Proteste berichten, in denen Todesmutige die afghanische Nationalflagge durch die Straßen tragen. Gefährdet sind sie, wenn sie, wie einige Frauen, in der Nähe des Präsidentenpalastes Sicherheit und Bürgerrechte verlangen. Gefährdet sind Shabnam Dawrans Kolleginnen. Die Sprecherin des staatlichen Senders, Chadidscha Amin, die nach Angaben der New York Times durch einen Mann ersetzt wurde; gefährdet ist Farida Nekzad, Chefredakteurin von Afghanistans noch unabhängiger Nachrichtenagentur Pajhwok.

Hilfsorganisationen für Journalisten erhalten Hunderte panische Nachrichten. Viele Journalistinnen sind abgetaucht, nachdem Berichte von Razzien durch Taliban kursierten. Kritische Berichte über die Taliban wie jene von Shabnam Dawran, aber auch Reportagen über Bildung und Kultur können ihnen nun zum Verhängnis werden.

Was die Frauen den Taliban nicht glauben

Ein möglicherweise letztes Aufbäumen des unabhängigen Journalismus, der in Afghanistan gedieh, während das nation building nicht vom Fleck kam, war die erste Pressekonferenz der Taliban nach der Machtübernahme. Auf energische Nachfragen ließen sie verlauten, ja, Frauen dürften arbeiten, und ja, auch Journalismus sei erlaubt, nur alles eben im Rahmen islamischer Werte. Die Zahl der afghanischen Journalistinnen, die das glaubten, dürfte nie hoch gewesen sein, inzwischen wird es keine mehr geben. Vor wenigen Tagen noch ließ sich ein Talib von einer Moderatorin interviewen. Schon Stunden danach musste man sagen: ein Versehen.

Anders als viele andere, die in Todesangst ihre Social-Media-Konten gelöscht, ihre Spuren im Internet verwischt haben, gibt es die Accounts von Shabnam Dawran noch. Ihr Gesicht ist ohnehin bekannt. Noch immer kann man ihre Posts nachlesen, wie sie selbst während des Opferfestes ins Büro kommt und arbeitet ("Hoffnung auf dauerhaften Frieden und Sicherheit"), wie Präsident Aschraf Ghani ein Krankenhaus einweiht, man sieht Bilder von grandiosen Landschaften und von Polizistinnen, aber auch Nachrichten vom Vormarsch der Taliban, von Entführungen, von der Einmischung Pakistans in die afghanischen Angelegenheiten.

Man muss ehrlicherweise sagen, dass man über Shabnam Dawran sonst wenig weiß. Sie sei auf die Khwaja-Rawash-Schule in Kabul gegangen und habe an der Ashna-Universität für Management studiert, schreibt sie in den sozialen Medien, wohne in Kabul, sei Single - was höchst ungewöhnlich ist -, habe für die Sender Zhwandoon TV, Shamshad TV und Tolo News moderiert, schließlich für RTA. Unter ihrem Namen findet sich - ein heroischer Moment des Journalismus - ihre Selbstbeschreibung: "News Presenter".

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