Äthiopien:Aufgeben? Nichts für Birtukan Mideksa

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"Mängel sind unvermeidlich", sagt Äthiopiens Wahlleiterin Birtukan Mideksa. (Foto: Tiksa Negeri/Reuters)

Die 47-jährige Juristin leitet die Wahlkommission Äthiopiens und hat damit einen der härtesten Jobs, den der Vielvölkerstaat am Horn von Afrika zu vergeben hat.

Von Arne Perras

Als sie ihre neue Aufgabe übernahm, war sich Äthiopiens Premier sicher: "Sie wird niemals kapitulieren, nicht mal vor der Regierung." Abiy Ahmed sprach von jener Frau, die vielleicht den härtesten Job hat, den es in dem Vielvölkerstaat zu vergeben gibt: Birtukan Mideksa leitet die Wahlkommission in Addis Abeba, sie ist verantwortlich für Organisation und Ablauf einer Abstimmung, die nach dem Willen der Regierung als erste freie und faire Wahl Äthiopiens in die Geschichte eingehen soll.

Angesichts der Gewalt, die das Land seit Monaten erlebt, glauben daran zwar immer weniger. Aber das hat die resolute 47-Jährige nicht dazu bewegt hinzuwerfen.

Ihr Land Äthiopien erlebt eine Phase großer Spannungen, seit das frühere Regime einen Weg für den Wandel öffnete. Zahlreiche Oppositionsgruppen boykottieren die Wahl, manche werfen der Regierung vor, zu tricksen oder Gegner zu gängeln, andere, die radikaleren Strömungen angehören, setzen auf Gewalt. Je nach Region wird in zwei Phasen gewählt, die meisten Äthiopier waren am 21. Juni aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen. Andere stimmen erst im September ab. Und im Kriegsgebiet Tigray fällt die Wahl ganz aus.

Erst im Hochsicherheitsgefängnis, dann sieben Jahre im Exil

Die Juristin Birtukan war erst 2018 aus einem siebenjährigen Exil in den USA zurückgekehrt. Sie gilt als mutig und entschlossen, sie hat bewiesen, dass sie sich nicht so leicht aus der Bahn werfen lässt. Allerdings weiß sie selbst sehr gut, dass diese Abstimmung gar keine Musterwahl mehr werden kann. Nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft muss eine demokratische Kultur erst wachsen. "Mängel sind unvermeidlich", hatte sie im Mai geschrieben. Am Wahltag bestätigte sich dies, Birtukan berichtete von Oppositionellen, die klagten, sie seien geschlagen oder von Wahllokalen ausgeschlossen worden. Sie scheute sich nicht, Verfehlungen des Regierungslagers anzuprangern, doch ob das reicht, ihre Glaubwürdigkeit als Wahlleiterin zu verteidigen, ist ungewiss.

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Die Juristin wuchs in Addis Abeba auf, wo sie später studierte und eine Laufbahn als Richterin einschlug. Bald schon bekam sie in der Rolle zu spüren, wie das Regime versuchte, die Justiz für politische Zwecke zu missbrauchen. Gegen einen Rivalen des damaligen Premiers Meles Zenawi wurden Korruptionsvorwürfe erhoben, Birtukan allerdings wollte unabhängig entscheiden und setzte den früheren Minister wieder auf freien Fuß. Das wurde von den Machthabern offenbar als Kampfansage verstanden, fortan bekam die Richterin Drohungen durch Staatsagenten, schließlich legte sie ihr Amt nieder.

Ihr Interesse an der Politik war schon früh gereift, schon vor der Arbeit am Gericht hatte sie versucht, als unabhängige Kandidatin ins Parlament zu gelangen, ohne Erfolg. Später spielte sie dann eine Schlüsselrolle beim Versuch der Opposition, die Wahlen von 2005 zu gewinnen. Das Regime aber reagierte mit eiserner Faust. Birtukan kam wie viele andere Oppositionelle ins Gefängnis, sie zählte nun zu den prominentesten politischen Gefangenen Äthiopiens.

War ihre Bitte um Begnadigung ein Fehler?

Als sie erfuhr, dass ein früherer Freund die Anklage gegen sie führte, war sie zutiefst geschockt, er forderte die Todesstrafe. Der Richter verhängte schließlich lebenslange Haft. Birtukan, die alleinstehend ist, musste ihre Tochter bei ihrer Mutter zurücklassen und verbrachte, mit kurzer Unterbrechung, mehrere Jahre in einem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis, zwei Monate davon in Isolationshaft. Erst 2010 kam sie, nach internationalen Kampagnen, wieder frei und ging in die USA ins Exil.

Bis heute wird in ihrer Heimat darüber diskutiert, dass sie den damaligen Machthaber Meles Zenawi aus der Zelle heraus um Begnadigung gebeten und ein Papier unterschrieben hatte, in dem sie ihre "Fehler" bedauerte. Sie weiß, dass diese Geschichte an ihrem Image als standhafte Kämpferin gegen die Repression kratzt. Es ist ein schweres Kapitel für sie, über das sie einmal schrieb: "Ich habe unterschrieben. Das ist Fakt, und ich kann es nicht ändern, selbst wenn ich das will."

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