Ärmelkanal:Großbritannien will sich abschotten, Frankreich soll helfen

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Schlauchboote in Dover, die von Flüchtlingen zur Überquerung des Ärmelkanals genutzt wurden. (Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Tauziehen am Ärmelkanal: Das gestörte Verhältnis zwischen Paris und London zeigt, was passiert, wenn Populisten an Einfluss gewinnen.

Kommentar von Nadia Pantel, Paris

Zunächst zu den Dingen, die wenige zu interessieren scheinen: Das erste Opfer des Schiffbruchs im Ärmelkanal konnte identifiziert werden. Es handelt sich um die 24-jährige Mariam Nouri Hamadameen, eine Kurdin aus dem Nordirak. Sie war auf dem Weg zu ihrem Verlobten, der in England lebt. Hamadameen war mit einem Visum nach Italien eingereist. Ihre Versuche, legal nach Großbritannien weiterzukommen, waren gescheitert, sie bezahlte einen Schleuser. Als das Schlauchboot begann, voll Wasser zu laufen, schrieb Hamadameen ihrem Verlobten eine Nachricht auf Snapchat. Sie würden sicher bald gerettet. Kurz darauf konnte er das GPS-Signal ihres Handy nicht mehr orten. Hamadameen und mindestens 27 andere ertranken.

Die Regierungen in Paris und London haben bislang vor allen Dingen eine Antwort auf das Sterben dieser Menschen gefunden: Sie geben den Schleusern und einander die Schuld. Darum, dass es kaum noch andere Möglichkeiten gibt, nach Großbritannien zu gelangen, um dort einen Asylantrag zu stellen, geht es kaum.

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London, Paris und damit auch die EU haben alles darangesetzt, aus der nordfranzösischen Hafenstadt Calais einen Ort zu machen, der den möglichst schnellen Warenaustausch ermöglicht. Und der Migranten und Flüchtlinge sehr effizient stoppt. Asyl in Großbritannien kann jedoch nur beantragen, wer das britische Festland erreicht. London will mit dieser Praxis das Brexit-Versprechen einlösen: Wir sind eine Insel, die das Recht und die Macht hat, sich abzuschotten.

Präsident Emmanuel Macron wird von Rechten und Konservativen unter Druck gesetzt

Nur ist es in der Realität so, dass London sich nur mit Hilfe der Franzosen abschotten kann. Frankreich schützt am Ärmelkanal die britische Küste. So legt es der Vertrag von Touquet fest, der in einer Zeit beschlossen wurde, als die EU den Briten noch als Zukunftsprojekt galt. London will nun auf eine recht eigenwillige Art an der Regelung von Touquet festhalten: Es beschimpft die Franzosen, die Strände nicht ausreichend zu kontrollieren und fordert, selbst Polizisten an die Küste schicken zu dürfen. Ein Vorschlag, den Frankreich verständlicherweise ablehnt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird gleichzeitig schon lange von Rechten und Konservativen unter Druck gesetzt, nicht weiter mit den Briten zusammenzuarbeiten. Migranten wollen raus aus Frankreich, raus aus der EU? Bitte schön, dort drüben ist Dover, gute Reise.

Hinter den Kulissen arbeiten beide Seiten daran, dass es nicht zu einem solchen Eklat kommt. Auch Frankreich hat kein Interesse an einer offenen Grenze Richtung Großbritannien, die zu einer Anlaufstelle für Migranten werden würde. Und London kann es sich kaum leisten, Frankreichs Kooperationswillen zu verlieren. Es sei denn, die britische Regierung folgt tatsächlich, wie manche bereits raunen, dem Beispiel Australiens und deportiert ankommende Flüchtlinge direkt in Lager außerhalb des Landes.

Doch mit solchen Fakten will man Wähler anscheinend nicht belästigen. Die Kommunikation zwischen London und Paris zeigt, was passiert, wenn Populisten an die Macht kommen, beziehungsweise, im Fall Frankreichs, die Opposition dominieren. Fragen der Migrationspolitik werden dann einerseits zum größten Problem eines Landes erklärt. Gleichzeitig werden sie durch die national-chauvinistische Rhetorik eines Boris Johnson immer weniger lösbar.

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