"Ziemlich starke Frauen" auf ZDF Neo:Wir kommen zurecht

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"Ziemlich starke Frauen" (v.l.n.r.): Michaela Liskova, Dunja Fuhrmann, Anna Schaffelhuber, Carolin Fischer und Ina Schallenberg. (Foto: ZDF / Frank W. Hempel)

Junge Rollstuhlfahrerinnen sind die Hauptdarstellerinnen im Doku-Format "Ziemlich starke Frauen" auf ZDF Neo. Ein wichtiger Beitrag zur Inklusion - obschon die Sendung teilweise wie eine verfilmte Foto-Love-Story aus der "Bravo" wirkt.

Von Matthias Kohlmaier

"Rollstuhlselbsterfahrung" hieß der Programmpunkt. Zivildienstleistende sollten die Perspektive der Menschen kennenlernen, deren Betreuung sie bald übernehmen würden. Bald neun Jahre ist meine persönliche Rollstuhlselbsterfahrung her, und ich habe durch diesen Tag in der Münchner Innenstadt eines gelernt: Das Gros der Menschen, denen man begegnet, ist im Umgang mit einem jungen Rollstuhlfahrer sehr unsicher bis ängstlich und beinahe immer unangenehm mitleidig.

ZDF Neo unternimmt mit Ziemlich starke Frauen nun einen medialen Versuch, das Miteinander ein wenig voranzubringen. Über mehrere Monate wurden für das sechsteilige Format Rollstuhlfahrerinnen im Alter von 20 bis 34 Jahren in ihrem Alltag begleitet. Was wünschen sich diese jungen Frauen vom Leben? Wie wollen sie von ihrer Umgebung behandelt werden?

Die Antworten, die die Protagonistinnen auf solche Fragen liefern, sind einfach: Das Gleiche, wie junge Frauen, die nicht im Rollstuhl sitzen. Die 25-jährige Ina besucht gerne die Disco und hat eine Vorliebe für falsche Fingernägel, Carolin, ebenfalls 25 Jahre alt, macht sich Gedanken über die Familienplanung und die 34-jährige Dunja genießt die Zeit mit ihrem neuen Lebensgefährten.

"Die Welt ist für Fußgänger gemacht"

Freilich ist manches etwas komplizierter als bei Menschen ohne Behinderung. "Die Welt ist für Fußgänger gemacht, nicht für Rollstuhlfahrer", sagt eine der Frauen, eine andere meint, angesprochen auf die Beziehung zu ihren Eltern: "Man wird immer Kind bleiben, als Rollstuhlfahrer vielleicht noch ein bisschen mehr." Keine der Protagonistinnen verschweigt die alltäglichen Probleme, mit denen sie in einer nur selten behindertengerechten Welt zu kämpfen haben. Die Teilnehmerinnen vermitteln aber unisono den Eindruck, dass sie ein glückliches Leben leben, Rollstuhl hin oder her. Wir kommen zurecht, lautet die Botschaft.

Die allzu naheliegende Gefahr, das Leben der jungen Frauen von ihrem Schicksal überlagern zu lassen, umgeht die Sendung zum Glück recht gut. Wenn eine Mittzwanzigerin von dem Moment erzählt, als sie unverschuldet von einem Auto überfahren wurde und die folgenden Monate des Sich-zurück-ins Leben-Kämpfens schildert, ist das ergreifend. Dennoch sind die Geschichten der Protagonistinnen ohne unnötiges Pathos erzählt, der Fokus bleibt auf Gegenwart und Zukunft.

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Generell wäre bei der Umsetzung des Formats trotzdem weniger viel mehr gewesen. Durch das bei jeder Gelegenheit eingespielte Popmusikgedudel und die penetrant-salbungsvolle Off-Stimme wirkt es gelegentlich wie eine verfilmte Foto-Love-Story aus der Bravo. Und wenn eine der Frauen im Abspann von Folge eins im Rollstuhl sitzend vor einer langen Treppe steht, tönt es schwach aus dem Off: "Carolin trifft auf Hindernisse." Danke für den Hinweis, liebe Autoren.

Aber Produktionsmängel hin oder her - Ziemlich starke Frauen spricht ein extrem wichtiges Thema an und es ist mehr als erfreulich, dass Inklusion im Angebot der Öffentlich-Rechtlichen einen Platz hat. Vielleicht erkennen nach dem Kennenlernen dieser ganz normalen Frauen ja ein paar Zuschauer, dass Mitleid keine Patentlösung im Umgang mit Behinderten ist. Oder wie Protagonistin Dunja über ihren neuen Freund sagt: "Er geht mit mir so um, wie man halt mit einem Menschen umgeht."

Ziemlich starke Frauen , ZDF Neo, donnerstags, 20.15 Uhr und 21 Uhr

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