ARD-Serie "ZERV - Zeit der Abrechnung":Juuut

Lesezeit: 3 min

Vielleicht doch nicht so arschig, wie er wirkt? Fabian Hinrichs und Nadja Uhl als ungleiches Ermittlerteam im Berlin der Nachwendezeit. (Foto: ARD/Merav Maroody)

In "ZERV" sind Nadja Uhl und Fabian Hinrichs alten DDR-Verbrechen auf der Spur. Sie als Ost-Kommissarin, er als kriminalistischer Besserwessi - eine deutsch-deutsche Annäherung im Retro-Look.

Von Christine Dössel

ZERV? "Noch nie gehört", bedeuten die Polizisten dem wichtigtuerischen West-Kollegen, der mit diesem Losungswort hinter eine Tatort-Absperrung will und sich nicht einmal vernünftig ausweisen kann. Den meisten Zuschauern wird es genauso gehen. ZERV, das bedeutet Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität und bezeichnet eine Polizei-Sondereinheit, die es nach der Wende in Berlin tatsächlich acht Jahre lang gab. Ihre Aufgabe war die strafrechtliche Aufarbeitung der SED- und DDR-Vergangenheit. Unterschlagung von Vermögen, Waffenhandel, Mauerschüsse, solche Sachen. Auch die dubiosen Geschäfte der "KoKo", des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" im Handelsministerium unter Leitung des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski, fallen darunter. Helmut Kohl hatte die ZERV zur "Chefsache" erklärt. Komisch, dass man so wenig darüber weiß.

Aber das ändert sich jetzt. Die ARD-Miniserie ZERV - Zeit der Abrechnung soll in der Tradition der Serie Weissensee in fiktiven Geschichten deutsch-deutsche Historie transportieren. Sie tut das auf sehr unterhaltsame Weise. Ihren Reiz beziehen die sechs Folgen weniger aus den Verbrechen, die hier aufgerollt und teils noch immer begangen werden, als aus dem Zeitkolorit, der Optik, der wuseligen Umbruch- und Aufbruchstimmung im Berlin des Jahres 1991, jener Zeit also kurz nach dem Mauerfall, als Deutschland zwar schon wiedervereinigt war, aber nur auf dem Papier. Wenn da eine westdeutsche Soko mit vermeintlichen "Superbullen" anrückt, um den Ost-Saustall mal gründlich aufzuräumen, ist der Konflikt programmiert. Ein fabelhaftes Framing jedenfalls für die Ermittlungsarbeit eines so dichotomischen Duos wie den wirtschaftskriminalistischen Besserwessi Peter Simon und der von ihm als "Osttante" geschmähten Kriminalhauptkommissarin Karo Schubert.

So viel zur Kollegialität: Sie nennt ihn "Westarsch", er schimpft auf den "Scheiß-Osten"

Die ZERV-Leute haben ihre Büros noch gar nicht richtig bezogen, da gibt es schon einen Toten: Matthias Trockland, der eine Aussage machen wollte, hängt ermordet am Baum. Er war zuständig für die Auflösung der Nationalen Volksarmee (NVA) - und außerdem ein guter Bekannter von Schuberts Mutter (Imogen Kogge). Später wird der Fall, in dem es um Waffenhandel und die Deals alter Ostseilschaften geht, noch viel weiter in Schuberts Familiengeschichte hineinragen; und am Schluss, wenn der verstockte Simon Vertrauen gefasst hat, erzählt er seiner Kollegin seine eigene Familienkatastrophe. Sie ist der Grund, warum er nachts manchmal weint.

Zunächst aber kabbeln sich die beiden ordentlich und schenken sich nichts in ihrer gegenseitigen Verachtung. Sie, nie um eine spitze Bemerkung verlegen, nennt ihn "Westarsch", "Graf Koks" oder "das FBI" und würde ihm gern mal "eins in die Fresse hauen". Er, ganz Saubermann, schimpft auf den "Scheiß-Osten", wittert überall die Stasi ("Jeder Dritte, statistisch gesehen") und stöhnt mit dem Klostampfer in der Hand über "40 Jahre Dreck". Der nette ZERV-Chef Thieme (Rainer Bock) muss den angespannten Simon drauf hinweisen, dass es kein "Drüben" mehr gibt, ruft im Bürochaos zwischen Kartons und nicht funktionierenden Telefonen aber schon auch mal: "Die Buschzulage will verdient sein!" Verantwortlich für das Drehbuch sind unter anderen die Produzentin Gabriela Sperl, die für Qualitätsproduktionen wie Operation Zucker oder die NSU-Trilogie Mitten in Deutschland steht, und der Ideengeber Michael Klette; mitgeschrieben hat ein pfiffiges "Writer's Room"-Team. Regie führte der 1986 geborene Dustin Loose, der nicht, wie man denken könnte, aus dem Osten, sondern aus Bonn kommt, humorbegabt auch er.

Kommissarin mit Herz und Berliner Schnodderschnauze: Nadja Uhl als Kriminalhauptkommissarin Karo Schubert in "ZERV". (Foto: ARD/W&B Television GmbH/Merav Ma)

Mit Nadja Uhl und Fabian Hinrichs in den Hauptrollen hat die Serie eine Traumbesetzung. Hinrichs, geliebt von Theaterfreunden (für seine Auftritte bei René Pollesch) ebenso wie von Tatort-Fans (Stichwort: Gisbert Engelhardt; außerdem ermittelt er seit 2015 im Franken- Tatort), hat für den beflissenen Klemmi aus dem Westen genau die richtige Gefühlstemperatur. So arschig, wie er anfangs rüberkommt, ist dieser unlockere Schlips- und Anzugträger gar nicht. Und zu Nadja Uhl passt die Rolle der bodenständigen Berlinerin mit Herz, Moonwashed-Jeans und Schnodderschnauze ohnehin perfekt, sie ist die unangefochtene Sympathieträgerin. Schuberts Tochter Silvia (Vanessa Loibl) ist lesbisch und in der Berliner Techno- und Hausbesetzerszene unterwegs, ihr Ex Andi (Peter Schneider) ein herzensguter Schluffi in Ballonseide und ihre beste Freundin Uta eine patente Kollegin aus der KTU, mit trockenem Witz gespielt von Fritzi Haberlandt. Ihre Plastikohrgehänge und bunten Outfits sind eine Freude, auch ihr Berliner Dialekt: "Juuut!"

Neben den Waffenschiebereien aus NVA-Beständen, in die irgendwie auch der halbseidene Hajo Gärster (Thorsten Merten) verwickelt ist, geht es in weiteren Erzählsträngen um die Misshandlungen in den DDR-"Jugendwerkhöfen" und um Zwangsadoptionen. Es gibt im Team einen Maulwurf, der es schafft, dass die Bösen immer einen Schritt voraus sind, es gibt Anschläge und eine Killerin in hautengem Leder. Als Krimi mit Thrillerspannung und Action funktioniert Zerv nicht so dolle - Verfolgungsjagden in VWs, Wartburgs und Trabi-Rostlauben haben etwas piefig Komisches. Dafür ist die Zeitreise in die Neunziger mit ihren Kassettenrekordern, Faxgeräten und handtaschengroßen "Handys" umso schöner. Der ZERV-Retro-Look ist klasse. Es menschelt sympathisch. Und der Soundtrack stimmt auch.

" ZERV - Zeit der Abrechnung". Alle Folgen in der ARD-Mediathek . Ergänzend dazu gibt es die Doku "ZERV - Die Ermittler" .

Weitere Serienempfehlungen finden Sie hier .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Urheberrecht im Film
:Ein Deal ist ein Deal

Anika Decker verklagt Til Schweiger, ein Kameramann bekommt nachträglich Geld für "Das Boot": Was deutsche Gerichte für Filmemacher entscheiden, klingt gerecht. In Hollywood würde man aber sagen: großer Quatsch.

Von Tobias Kniebe

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: