Medienethik:Kriegsrede als Inserat

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Der Chefredakteur rechtfertigt sich mit der Meinungsfreiheit: Verkaufsständer mit den Tageszeitungen "La Liberte". (Foto: imago images/Pius Koller)

Eine Schweizer Regionalzeitung druckt Putins verstörende Fernsehansprache als Anzeige. Der Chefredakteur spricht von Meinungsfreiheit.

Von Timo Posselt

Die Anzeige reicht über eine ganze Seite und ist dicht bedruckt mit Wladimir Putins Worten. Darin schwadroniert der russische Präsident von einem "feindlich gesinnten Anti-Russland" auf "eigenen historischen Gebieten", das "totaler externer Kontrolle" unterliege und "von den Streitkräften der Nato-Ländern kolonisiert" sei. Putin meint damit die Ukraine, in die seine Armee am jenem 24. Februar 2022 einfiel, an dem er die Rede als TV-Ansprache hielt. Die Schweizer Regionalzeitung La Liberté hat diese Rede vergangenen Samstag in französischer Übersetzung in Auszügen als Anzeige abgedruckt.

Über dem Inserat in der französischsprachigen Zeitung aus Fribourg prangt die lateinische Überschrift: "Audiatur et altera pars" - "Auch die andere Seite soll gehört werden." Ein Grundsatz aus dem römischen Recht. In Auftrag gegeben hatte das Inserat ein Lokalpolitiker und Anwalt, der in den Neunzigern schon einmal aufgefallen war, wie die NZZ recherchierte. Damals verteilte er Hanfpflanzen vor einer Schule und wurde zu drei Monaten Haft verurteilt. In einem Begleittext zur Kriegsrede von Putin erklärt er nun, wie er den römischen Grundsatz zur Anhörung beider Seiten hier "durch private Initiative" anwende und bittet um Spenden. Sein Ziel sei es, die Kriegsrede in weiteren Zeitungen drucken zu lassen.

Der Chefredakteur von La Liberté erklärt den Abdruck in derselben Ausgabe mit der Meinungsfreiheit. Die Redaktion sei zu dem Schluss gekommen, dass der "Text in keiner Weise gegen die in der Schweiz geltenden gesetzlichen Bestimmungen verstößt". Die Rede sei weder rassistisch, noch leugne sie den Holocaust. "Sie unter dem Vorwand der Propaganda abzulehnen, würde einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit darstellen." Die Zeitung habe sich zwar "eindeutig für die ukrainische Seite entschieden". Eine Ablehnung der Anzeige hätte jedoch der "selektiven Behandlung aller Arten von Werbung und politischer Anzeigen nach Meinungs- und Affinitätskriterien" die Tür geöffnet.

Der SZ teilte Chefredakteur François Mauron mit, es hätte kaum negative Reaktionen der Leser gegeben und genauso viele positive Zuschriften. "Ein Shitstorm ist ausgeblieben", so Mauron. "Die Invasion der Ukraine durch das Russland von Wladimir Putin ist aufs Schärfste zu verurteilen", ergänzt er. Diesen Standpunkt habe seine Zeitung mehrfach in Kommentaren vertreten.

Mauron betont, dass etwa die Passage, in welcher Putin von der "Entnazifizierung" der Ukraine spricht, im gedruckten Auszug nicht enthalten ist. Bei seiner Entscheidung zur Publikation wären ökonomische Motive nicht entscheidend gewesen, sagt Mauron. Den zwielichtigen Auftraggeber kostete die Aktion 6800 Franken, umgerechnet 6730 Euro.

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