TV-Vorschau: "Florence Fight Club":Sie nennen es Fußball

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Mindestens so hart wie Rugby oder Boxen - nur regelloser: In Florenz findet jährlich ein Turnier statt, das als "historischer Fußball" bezeichnet wird. "Florence Fight Club" ist ein bemerkenswerter Film über den vermutlich härtesten Mannschaftssport der Welt.

Marc Felix Serrao

Irgendwann sieht man nur noch Klumpen: sandverschmierte und grunzende Klumpen Mensch, wild um sich schlagende Fäuste, blind tretende Füße, blutverschmierte Nasen und müde Grimassen. Calcio storico heißt das Gewühl, "historischer Fußball". Einmal im Jahr treten im beschaulichen Florenz Mannschaften aus den vier Wohnvierteln der Stadt mit jeweils 27 Spielern in einem Turnier gegeneinander an. Sie heißen schlicht: die Blauen, die Weißen, die Roten, die Grünen. Seit Jahrhunderten schon. Das Spielfeld ist rechteckig, die Partie dauert 50 Minuten, und die Torlinie geht über die gesamte Breite des Platzes. Ansonsten gibt es - fast - keine Regeln. Das siegreiche Team gewinnt ein weißes Kalb. Aber darum geht es nicht.

"Rein gehst du auf deinen Füßen, aber wie du wieder rauskommst, weißt du nicht" - Der Dokumentarfilm "Florence Fight Club" zeigt, wie in Florenz schon seit Jahrhunderten Mannschaften aus den vier Wohnvierteln der Stadt in einem Turnier gegeneinander antreten. Es gibt eine Torlinie, ansonsten gibt es - fast - keine Regeln. (Foto: WDR)

"Wie gut kann man sich selbst kennen, ohne je einen Kampf durchgestanden zu haben?" Mit dieser Frage beginnt Luigi Perottis gelungener und liebevoll gemachter Dokumentarfilm Florence Fight Club, den der WDR an diesem Donnerstag in deutscher Erstausstrahlung zeigt. Dazu sieht man Männer in eigenartigen bunten Pluderhosen und mit sehr ernsten Gesichtern durch die Altstadtgassen von Florenz laufen, hin zur Piazza Santa Croce vor der Kathedrale. Begleitet wird der Zug von traurigen Trommelschlägen.

"Wenn du in die Arena gehst, kannst du ganz schön Angst kriegen", sagt Pussi, ein wuchtiger Florentiner mit grauem Haarkanz und breitgeschlagener Nase. "Rein gehst du auf deinen Füßen, aber wie du wieder rauskommst, weißt du nicht." Pussi weiß, wovon er redet. Er ist ein Veteran dieses Sports, der mindestens so hart ist wie Rugby oder Boxen - nur regelloser. Einmal, sagt er, habe er nach einem Spiel keinen einzigen Zahn mehr im Mund gehabt. Heute ist er zu alt, leider.

Nachdem die Kämpfe auf dem Platz ein paar Jahre lang immer wilder wurden, dürfen nun nur noch Männer unter 40 mitspielen. Pussi findet das albern. Aber immerhin ist sein Sohn nun dabei, er ist gerade 18 geworden.

Florence Fight Club begleitet Spieler aller vier Teams - erst in den Wochen vor dem großen Turnier und dann ins sandige Gewühl. Giovanni aus der blauen Mannschaft, zum Beispiel, ein dunkelhäutiger junger Fleischer und tüchtiger Boxer, der mitspielen will, um ungeachtet seiner Hautfarbe endlich als echter Florentiner respektiert zu werden. Oder Gabrio, ein sanft wirkender Grafiker und Familienvater aus dem roten Team, der sagt, dass er Gewalt eigentlich verabscheut, durch das Spiel aber hofft, seine "dunkle Seite" etwas besser zu verstehen. Und andere, meist sehr durchschnittlich wirkende Männer.

Das Erfreulichste an diesem Film ist seine Haltung - dem eigenen Sujet und den Spielern gegenüber. Luigi Perotti nimmt den Florentiner Fußball ernst, ohne ihn zu überhöhen oder lächerlich zu machen. Man will sich gar nicht vorstellen, was mancher deutsche Fernsehregisseur aus dem Stoff gemacht hätte, weder die sozialpädagogische Variante noch das Bumm-Bumm der Privatsender.

Worum geht es euch? Diese Leitfrage stellt der Regisseur all seinen Protagonisten, offen und neugierig. Ja, worum? Der moderne Mann, dessen Männlichkeit ja nur noch als soziales Konstrukt geduldet wird, arbeitet an seinen soft skills und darf, sofern er nicht Chef ist, seine Wut allenfalls in der Vorhölle namens Fitnessstudio abreagieren.

Die Männer im Film antworten auf ihre Art, mitunter auch ohne Worte. Pussis Sohn, zum Beispiel, will eigentlich nur eins: seinen geliebten Vater stolz machen. Auf der Busfahrt zum Spiel wird er plötzlich so von der Anspannung übermannt, dass er anfängt zu weinen. Kein Mitspieler sagt etwas, niemand lästert. Dafür nehmen sie ihre eigene Angst alle viel zu ernst.

Florence Fight Club, WDR, 23.15 Uhr

© SZ vom 14.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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