TV-Kritik:Die Schweiz ist wie ein "Drogenzimmer" nebenan

Lesezeit: 3 min

Sandra Maischberger fragte nach wahren Asozialen. Da hat es ein FDP-Mann schwer - und Wolfgang Grupp leicht.

Johannes Bockenheimer

Was machen, wenn eine Politdebatte ihren Zenit bereits deutlich überschritten hat? Was, wenn sich die nächste noch ziert, durch die Fernsehstudios der Republik getrieben zu werden?

Da dachte sich die Redaktion von Sandra Maischberger: Lieber noch einmal neu aufwärmen. Und so fragte die Gastgeberin von Menschen bei Maischberger: "Wer sind die wahren Asozialen?" Ganz oben auf der Liste der Verdächtigen: Steuersünder und Hartz-IV-Empfänger.

Eröffnen kann das Match natürlich nur einer von jener Mannschaft, die den Streit angezettelt hat. Die FDP hat ihren Berliner Bundestags-abgeordneten Martin Lindner geschickt, der um Verständnis für mangelnde Bereitschaft zum Steuerzahlen wirbt: "Ich kenne keinen, der jedes Mal 'Hurra!' schreit, wenn er Steuern zahlt."

Alleine bei den Bischöfen der evangelischen Kirche und den Redakteuren der Süddeutschen Zeitung ist sich der FDP-Mann nach eigener Aussage nicht ganz sicher. Doch Lindner sei beruhigt, auch in den Korridoren der Münchner Tageszeitung summt so mancher den Liberalen-Ohrwurm "Mehr Netto vom Brutto" - wenn der Chef gerade außer Hörweite ist.

Gnade für Millionenhinterzieher

Für Dagmar Enkelmann ist das eine Steilvorlage. Die Fraktionsgeschäftsführerin der Linken - also der natürliche Widerpart zum Liberalen Lindner - geht sogleich in die Offensive: Was FDP-Chef Guido Westerwelle gemacht habe, sei eine Pauschalisierung und Radikalisierung der Debatte. Der Hartz-IV-Preller werde an den Pranger gestellt, dem Millionenhinterzieher aber verziehen.

"Es sind nicht wirklich Lösungsangebote", klagt die Bundestagsabgeordnete. Die blieb Enkelmann in der Vergangenheit selbst allerdings auch schuldig. "Diese Demokratie löst die Probleme der Menschen nicht", vernahm man von ihr noch vor einem Jahr.

Was bis zu diesem Zeitpunkt ein leises Geplänkel zwischen Berufspolitikern ist, wird erst durch den Auftritt der Streithähne Wolfgang Grupp und Thomas Kramer interessant.

Der einstige Börsenstar und heutige Bauinvestor Thomas Kramer ist eigens aus den USA in die Hartz-IV-Tiefebene eingeflogen und ärgert sich zunächst über seine Erkältung und später dann lautstark über die frostige Atmosphäre, die man in Deutschland als Unternehmer ertragen müsse. Die deutschen Sozialgesetze sind der Grund, warum er nicht in Deutschland sei und seine Abwesenheit wiederum der Grund, warum es in der Bundesrepublik keine Jobs mehr gebe.

Starker Tobak, findet in der illustren Runde nicht nur Trigema-Chef Grupp. Aber der Trikotagen-Mann, der seit Jahren im Fernsehen mit einem Äffchen wirbt, ist der Einzige, der sich mit seinem raumfüllenden Organ im TV-Studio durchsetzen kann.

Anders als Kramer möchte Grupp nirgendwo sonst wirken als in Deutschland. Und schon gar nicht in Kramers Wahlheimat, denn für ihn kommt "der gesamte Betrug", den es so gibt auf der Welt, aus den USA.

Schräger Showdown

Wenn die zwei sich streiten, kommt kein Dritter zu Wort. Egal, ob Lohnnebenkosten, Steuerflucht oder Unternehmerverantwortung - es gibt nichts, was die beiden nicht zur Konfrontation bringt.

Zum schrägen Showdown kommt es, als Unternehmer Grupp den Zoff zwischen Deutschland und der Schweiz über den Erwerb von Steuerdaten mit einem Nachbarschaftsstreit vergleicht: Wer den eigenen Kindern den Drogenkonsum untersagt, will nicht, dass sich der Nachbar im Haus ein "Drogenzimmer" baut. Kramer echauffiert sich daraufhin, dass Grupp wohl den Wiederaufbau der DDR-Mauer an der Schweizer Grenze fordere.

Spätestens an dieser Stelle fällt auf, dass das, was sich hier als Politshow geriert, stellenweise mehr den feucht-fröhlichen Fernseherlebnissen von Heinz Schenks unvergesslichen Blauen-Bock-Sendungen ähnelt. Allerdings in Dunkelschwarz.

Doch genug der Polemik: Ordinäres TV-Bashing ist ohnehin so schal wie Schimpftiraden über Bahn-Verspätungen. "Hadde mer alles schon emal", würde Schenk, der Mainzer, den alle für einen Hessen hielten, im zarten Bembel-Deutsch flöten.

Apropos Verwechslung: Christo Großmann, von Sandra Maischberger als Mann fürs Martialische eingeplant, versagt auf ganzer Linie. Die Moderatorin hatte wohl auf seine Aura als Bürgerschreck spekuliert. "Arbeit ist scheiße" lautet seine Parole und die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) ist seine politische Heimat. Perfekte Vorraussetzungen für die Rolle des enfant terrible, könnte man denken.

Die TV-Lady hat sich jedoch geirrt. Nicht Großmann, sondern Lindner ist der Bürgerschreck an diesem Abend. FDP-Parteibuch gegen APPD-Mitgliedschaft: Ein chancenloses Unterfangen für Großmann, da mag er in der Vergangenheit noch so schrill Arbeitsverweigerung skandiert und über das miese Gesamtsystem gewütet haben. Als sich Grupp und Kramer gegen Ende nichts mehr an den Kopf zu werfen haben, verbünden sie sich gemeinsam mit der Linken-Politikerin Enkelmann für einen letzten Schlag gegen das FDP-Mitglied Lindner.

Deutschland darf kein Niedriglohnland sein

Doch was hat das alles mit Hartz IV, Steuerhinterziehung und Asozialen zu tun? Herzlich wenig. Gastgeberin Maischberger ist auch nicht sonderlich bemüht, die Diskussion auf geregeltere Bahnen umzuleiten. Jeder Versuch geht im Gezeter von Grupp und Kramer unter.

So bleibt als einzige Erkenntnis des Abends die Feststellung, dass Deutschland kein Niedriglohnland sein darf (Enkelmann), Westerwelle es ja eigentlich nicht so gemeint hat (Lindner) und Deutschland mehr Innovationen hervorbringen muss (T-Shirt-Produzent Grupp). Und der letzten Forderung stimmen dann endlich mal alle zu: Die einfache und billige Arbeit ist halt nichts für die Deutschen.

"Das ist", meint Meister Grupp, "Aufgabe des Chinesen."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: