TV-Kritik: Anne Will:"Krieg ist kriegerisch, er erzeugt Tote"

Lesezeit: 3 min

Hitzig, emotional und wirr: Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über den Sinn des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan.

Christina Maria Berr

Eine Trauerfeier für die drei am Gründonnerstag getöteten Soldaten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Ein paar Tage später eine Zeremonie im Bundeswehrlager Masar-i-Scharif: Vier weitere getötete Soldaten werden geehrt und verabschiedet. Es sind Nachrichten wie diese, die die schwierige Situation in Afghanistan verdeutlichen und die Debatte um den Einsatz in Afghanistan emotional aufladen.

"Gefallen in Afghanistan - gestorben für Deutschland?", fragt auch Moderatorin Anne Will am Sonntagabend - und entfacht unter ihren Gästen eine interessante und derart hitzige Debatte, dass bisweilen alle Geladenen gleichzeitig sprechen. Und so driftet das Gespräch immer wieder ins akustisch Unverständliche und inhaltlich Wirre ab. Es ist wohl ein Thema, das deutliche und emotionale Worte verlangt.

"Krieg ist kriegerisch, er erzeugt Tote" erklärt Roger Willemsen gleich zu Beginn der ARD-Sendung und findet die Idee, die deutsche Freiheit würde am Hindukusch verteidigt werden, "fast dadaistisch". Er stellt die These auf: Unsere Sicherheit ist von den Taliban überhaupt nie direkt gefährdet worden.

Der Autor und Publizist unterstützt seit Jahren mehrere Hilfsprojekte in dem Land - unter anderem drei Mädchenschulen und Brunnenbauvorhaben. Man verhandle dort direkt mit den Taliban und der Aufbau funktioniere auch ohne militärische Unterstützung, erklärt er.

Das bringt sofort Kerstin Müller auf den Plan, die eine derart "verharmlosende Darstellung" Willemsens nicht akzeptieren will. "Nehmen Sie das zurück!", fordert die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Willemsen nimmt nichts zurück und erklärt hingegen: "Die Grünen-Politikerin Müller möchte eigentlich im Grunde genommen mittlerweile Afghanistan bombardieren."

Damit formuliert Willemsen überspitzt, was in dieser Sendung bemerkenswert ist: Die Grünen-Politikerin springt mit ihren Aussagen immer wieder FDP-Mann Dirk Niebel bei. Der Bundesentwicklungsminister selbst bringt zunächst den "Strategiewechsel der Bundesregierung" unter, fordert wieder einmal "einen militärisch abgesicherten zivilen Aufbau" und droht vor einem "Überschwappen nach Pakistan und der Option einer atomaren Bewaffnung von Islamisten" .

Ein weiterer Gast, der als betroffener Soldat kurz seine Position vertreten darf, wird später sagen: "Manchmal kommt mir die Diskussion hier vor wie politischer Wahlkampf".

Immerhin räumt der Befürworter des Afghanistan-Einsatzes an diesem Abend ein: "Man wird nicht militärisch in Afghanistan gewinnen können. Man kann aber einen Sicherheitsrahmen schaffen, der es ermöglicht, auf dem aufzubauen, was in der Vergangenheit schon Positives geleistet worden ist."

Niebel, der selbst acht Jahre als Zeitsoldat gedient hatte und bisweilen so spricht, als sei er eigentlich Verteidigungsminister, erklärt das Problem einer "asymmetrischen Kriegsführung", "die keine moralischen, rechtlichen oder sonstigen Regeln einhält" und Angst, Schrecken, Terror und Wut verbreiten will. Da würde man doch gerne wissen, welche Kriegsführung das nicht tut.

Außerdem wünscht sich der Minister Rückhalt für die Soldaten in der Bevölkerung - doch den gibt es immer weniger. Will zitiert eine Blitzumfrage, dass nur noch 30 Prozent der Deutschen den Einsatz in Afghanistan befürworten würden. Doch inwieweit schadet der mangelnde Rückhalt den Soldaten? Wie wirken sich die Debatten um den Einsatz auf den Einsatz aus? Diese Frage wird zum eigentlichen Thema des Abends.

Historiker Michael Wolffsohn von der Bundeswehruniversität in München erklärt, wieso man durch öffentliches Debattieren über den Sinn des Einsatzes, unfreiwillig zu einem Helfer der Taliban wird. Die Taliban würden diese Debatten wahrnehmen und diese vermeintliche Schwäche ausnützen. Willemsen tituliert die Aussage als Propaganda: "Sie können doch nicht sagen: Taliban reagieren auf Kritiker, die bei Anne Will am Sonntag sitzen", erklärt er und fragt noch einmal nach: "Das heißt: Shut up?"

Doch Wolffsohn ist wohl der Einzige in der Runde, der sich nicht gerne provozieren lässt. Er nennt weitere Problemländer wie Somalia, Jemen, Pakistan und Probleme bei der Bundeswehr: "Schlecht ausgerüstet, schlecht ausgebildet und - Kritik an die Politik - ohne eine klare Zielvorgabe."

Auch Gregor Gysi schimpft über die Politik. Wie Willemsen ist der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag generell gegen den Einsatz in Afghanistan: "Ich behaupte, diejenigen, die den sofortigen Rückzug fordern, tun am meisten für die Soldaten."

Leider reicht am Ende die Zeit nicht mehr, die wohl interessanteste Frage des Abends zu diskutieren: "Obama geht ja 2011, wer bleibt dann?", fragte Willemsen. Vielleicht gibt es dazu einen weiteren Abend bei Anne Will. Das Thema wird aktuell - und emotional - bleiben.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: