Pressefreiheit in der Türkei:Von Amts wegen

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Bezeichnet es als "eine Auszeichnung", von Reuters angegriffen zu werden: Fahrettin Altun, Leiter des Kommunikationsdirektorats. (Foto: Arif Hudaverdi Yaman/picture alliance / AA)

Reuters hat recherchiert, wie sehr eine Regierungsbehörde türkische Medien steuert. In der staatlichen Antwort wird die britische Nachrichtenagentur nun als Fake-News-Produzent diffamiert.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Über die Pressefreiheit in der Türkei wird viel geschrieben, und dass es nicht gut um sie steht, ist lange bekannt. Jetzt aber durchleuchtet die britische Nachrichtenagentur Reuters die Rolle, die das sogenannte Kommunikationsdirektorat in Ankara spielt. Diese Behörde ist dem Staatspräsidenten unterstellt und wird von Fahrettin Altun geleitet, einem früheren Think-Tank-Wissenschaftler und Vertrauten von Recep Tayyip Erdoğan. Reuters zufolge steuert die Altun-Behörde die türkischen Mainstream-Medien bis ins Kleinste. Das Amt lenke die Nachrichtengebung der regierungsnahen Sender, Zeitungen und Online-Auftritte. Chefredakteure und Kolumnisten würden mit Anrufen und Whatsapp-Nachrichten auf die jeweils vorgegebene Linie eingeschworen.

Kommunikationsdirektor Altun reagierte persönlich: Reuters sei bekannt als Fake-News-Redaktion und wolle der Türkei schaden. Er twitterte, es sei "eine Auszeichnung", von Reuters angegriffen zu werden. Dies bestätige nur den richtigen Kurs seines Medienamtes.

Reuters beruft sich bei seinen Recherchen auf mehr als ein Dutzend zum größten Teil ungenannter Insider der türkischen Medienindustrie. Als Beispiel für die Druck- und Kontrollmechanismen nannte die als zuverlässig bekannte Nachrichtenagentur den Rücktritt von Finanzminister Berat Albayrak Ende 2020. Der Minister, einer der Schwiegersöhne des Staatschefs, war nach anhaltender Kritik unter ungewöhnlichen Umständen und offenbar im Alleingang per Instagram zurückgetreten.

Viele früher als unabhängig bekannte Redaktionen in der Türkei haben ihr Renommee verloren

Während die internationalen Medien umgehend berichteten und die Börse aufatmete - Albayraks Finanz- und Zinspolitik war umstritten - schwiegen die der Regierung nahestehenden Sender und Zeitungen zum Rücktritt 24 Stunden lang. Dies sei auf direkte Anordnung von oben geschehen, berichtet die britische Nachrichtenagentur unter Berufung auf die namentlich nicht genannten Nachrichtenmanager vier großer Medienorganisationen.

Erleichtert werde das Vorgehen des Direktorats durch die Besitzer der Sender und Blätter. Über die Vergabe staatlicher Anzeigen würden die Medien wirtschaftlich unter Druck gesetzt. Zudem ist der größte Teil der türkischen Medien ohnehin seit Jahren in der Hand regierungsnaher Unternehmer; viele früher als unabhängig bekannte Redaktionen haben ihr Renommee verloren. Der Journalist Faruk Bildirici, der fast 30 Jahre lang für Hürriyet gearbeitet hatte, sagte: "Die Mainstream-Medien in der Türkei dienen mehr dazu, die Wahrheit zu verschleiern, als dass sie faktische Nachrichten berichten." Hürriyet, einst auflagenstärkstes Blatt des Landes, zählt nun zum Regierungslager, Bildirici hat gekündigt.

Die harsche Reaktion des Kommunikationsdirektorats war erwartbar. Altun tweetet, es sei "nicht das erste Mal, dass Reuters, ein Apparat betrügerischer und systematischer Manipulation, auf Recep Tayyip Erdoğan und das türkische Kommunikationsdirektorat zielt". Reuters, schreibt Altun, habe schon bei der Berichterstattung aus dem syrischen Bürgerkrieg gezielt desinformiert: "In Wirklichkeit soll verschleiert werden, dass einige westliche Regierungen ignoriert oder mit Hilfe ihrer Geheimdienste sogar aktiv befördert haben, dass damals Terroristen nach Syrien einreisen konnten."

Ein in dem Reuters-Report nicht namentlich genanntes Regierungsmitglied versucht, den Eindruck umfassender Medienmanipulation zu zerstreuen. "In keinster Weise" setze Altun die Agenda: "Er brieft gelegentlich Redakteure und Reporter, was Teil seines Jobs ist. Aber er tut das nie so, dass es als Eingriff in die journalistische Unabhängigkeit der Medienhäuser verstanden werden könnte oder als Verletzung der Pressefreiheit."

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