Hörspiel "Die Welt im Rücken":Das Leben als Schlachtfeld

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Der SWR hat den autobiografischen Roman "Die Welt im Rücken" des manisch-depressiven Autors Thomas Melle als Hörspiel inszeniert. Es ist von einer verstörenden Aufrichtigkeit.

Von Stefan Fischer

"Ich bin keine Person mehr", sagt der sich selbst fiktionalisierende Autor Thomas Melle: "Das Ich ist zerstört." Dies ist Melles niederschmetternde Selbstwahrnehmung, wie er sie in seinem Roman "Die Welt im Rücken" schmerzlich ausstellt.

Melle leidet an einer bipolaren Störung, wobei er diesen Ausdruck nicht schätzt. Er findet ihn zu steril, zu lasch, zu billig. Und bevorzugt stattdessen die alte, weniger euphemistische Bezeichnung: manisch-depressiv.

Sein autobiografischer Roman ist 2016 erschienen, er stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Nun hat Rebekka David ihn fürs Radio bearbeitet und eine 150-minütige Hörspielfassung in zwei Teilen inszeniert. Es ist eine kraftvolle, beherzte und sehr aufschlussreiche Produktion geworden. Sie gewährt tiefe Einblicke in die gestörte Persönlichkeit der Hauptfigur, ohne dass man als Hörer in eine voyeuristische Rolle gedrängt würde.

Drei Schauspieler spielen eine Figur: den reflektierten, den depressiven und den manischen Autor

Die Regisseurin hat die Figur Melles auf drei Schauspieler aufgeteilt. Lou Strenger spricht den reflektierten Autor, Camill Jammal den depressiven, Tilman Strauß den manischen. Tempo, Rhythmus und Stil verändern sich über das Hörspiel hinweg immer wieder, je nachdem, in welcher Phase der Ich-Erzähler steckt. Gro Swantje Kohlhof liest die Ansagen, als wäre sie eine Ärztin, die einen Befund in ein Diktiergerät spricht.

Während zweier Großmanien, wie Melle sie nennt, hat er seine Bibliothek sowie seine CD- und Plattensammlung verkauft - und diesen Verlust in den folgenden Depressionen bedauert. Später wird er erklären, dass er dieses Ausmisten vor allem als eine Bereinigung der Geistesgeschichte begriffen hat. Als ein Kappen literarischer und philosophischer Traditionen. Als Ausdruck schieren Größenwahns. So wie er dann überhaupt glaubt, Politik- und Kulturbetrieb würden um ihn als Fixstern kreisen.

In den manischen Perioden zerstört Melle Freundschaften und Arbeitsbeziehungen, in den depressiven gerät er in Lebensgefahr. Und in den Zeiten, in denen er als zwischenzeitlich geheilt gilt, wandere er "zerfetzt durch die Gegend und kann sich nur über das Schlachtfeld wundern", das hinter ihm liege. Es seien drei verschiedene Existenzen, die einander ausschlössen und bekriegten. Die schonungslose Offenheit packt und beschäftigt einen. "Man kann sich kaum ein schambesetzteres Leben vorstellen", sagt Melle als Melle. Diese Scham und alles, was sie verursacht, offenzulegen, ist bewundernswert.

Die Welt im Rücken , SWR 2, zwei Teile, 24. und 31. Oktober, jeweils 18.20 Uhr.

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