Thomas Gottschalk:"Wenn ich da bin, kriegt mich jeder"

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Ob in der Stierkampfarena in Palma oder beim Dallmayr-Adventsmarkt in München: "Ich bin aus vollster Überzeugung Unterhalter." (Foto: Florian Peljak)

Thomas Gottschalk hat nach "Wetten, dass..?" viel ausprobiert. Nicht alles hat funktioniert. Ans Aufhören denkt der Entertainer deswegen noch lange nicht - wie er auf einer Zugfahrt von Berlin nach Hamburg erzählt.

Von Hans Hoff

Ist er es? Der große Mann, der da mit zwei Rollkoffern durch den Berliner Hauptbahnhof Richtung Gleis 8 strebt. Ja, er ist es. Die blonde Mähne ist unverkennbar, auch wenn sie mit den Jahren an Farbe und Fülle eingebüßt hat. Thomas Gottschalk. Unser Thommy, nationales Medien-Inventar, der volkseigene Betrieb in Sachen Fernsehunterhaltung.

Natürlich wird er erkannt und zaubert den Passanten ein Lächeln ins Gesicht. Immer noch. Da ist diese Vertrautheit, die sonst nur von vererbten Möbelstücken ausgeht. Es nimmt den Menschen für einen Moment die Schwere ihres Alltags, und natürlich wollen sie ein Selfie mit ihm. Kriegen sie. Und noch eins und noch eins. Er bedient sie alle. Sie sind sein Publikum. Immer noch.

Dann geht er zum Gleis. Als der ICE 1514 um 11.22 Uhr Fahrt aufnimmt, sitzt Gottschalk auf Platz 82 im Wagen 28. Es ist Zeit zu reden. Genau 122 Minuten braucht der Zug von Berlin nach Hamburg, wo Gottschalk für seinen alten Heimatsender ZDF den Klassik-Echo moderieren soll. Gefühlte 120 davon spricht der Künstler über sich, über seine Motivation und wie passieren konnte, was passiert ist.

Gottschalks Scheitern lag oft daran, dass er Bedenken nicht vorbrachte, konfliktscheu blieb

Schließlich ist so einiges passiert, seit er sich 2011 verabschiedet hat vom Samstagabend. Er hat viel probiert und ist erstaunlich oft gescheitert. So oft ist er gescheitert, dass sich nicht wenige fragten, warum er sich das alles noch antut. Schließlich ist er 67 Jahre alt und könnte problemlos in seiner Wahlheimat Malibu den Blick über den Pazifik schweifen lassen.

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Kürzlich hat ihn ein Magazin in die Liste der reichsten Deutschen aufgenommen. Also fast. Sie haben ihn in dieser Liste auf Platz 1001 gesetzt, was ein bisschen gemein war, weil man ja quasi als Verlierer abgestempelt ist, wenn man zwar reich sein soll, es aber dann mit einem geschätztem Vermögen von 90 Millionen Euro nicht für die Top 1000 reicht. "Schon die Hälfte wäre schön", seufzt Gottschalk und erklärt, warum er gegen so etwas nicht vorgeht. "Man kann doch nicht klagen wegen Reichtums", sagt er und ordnet seine wahre Situation eher bescheiden ein: "Bei vorsichtigem Lebenswandel werde ich nicht mehr verhungern."

Im Gegensatz zu solch opulenten Schätz-Meldungen stehen Berichte vom 30. September, als er im Regen auf einem Möbelhaus-Parkplatz im Kölner Vorort Pulheim stand und für 120 Zuschauer einen Rockband-Nachwuchswettbewerb moderierte. Nicht wenige redeten davon, dass Gottschalk nun ganz unten angekommen sei.

Davon will er natürlich nichts wissen. "Die 120 im Regen haben sich sowas von gefreut", schwärmt er. Nicht erst dort habe er entdeckt, was er "die Freude am Kleinen" nennt. Große Show ist schön, aber die Zufriedenheit für einen, den es immer noch auf die Bühne drängt, kann sich auch vor einer Handvoll Leute einstellen. "Ich bin aus vollster Überzeugung Unterhalter", schwört er. Ob er nun 5000 in der Stierkampfarena von Palma oder 120 in Pulheim bespaßt, ist egal. "Du fliegst trotzdem", sagt er. Wenn es läuft, dann läuft es.

"Ein Storchennest", sagt er plötzlich und zeigt aus dem Fenster. Obwohl er ganz beim Gesprächspartner ist, kriegt er genau mit, was ringsherum läuft. Es ist diese Wachheit, die seine Präsenz füttert.

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Trotzdem ist so einiges schiefgegangen in den vergangenen Jahren. Der gescheiterte Vorabend bei der ARD, wo überforderte Redakteure alles besser wussten, sein Einsatz als Mit-Juror von Dieter Bohlen beim RTL- Supertalent, wo er sich im falschen Film wähnte, die Sat.1-Kindershow Little Big Stars, die man ihm im Schnitt zerstörte und die er einen Betriebsunfall nennt, und dann noch der Moment, in dem ganz Köln mit seinem Bild auf Möbelhaus-Postern plakatiert wurde, obwohl er sich doch eigentlich nur als Markenbotschafter hergegeben hatte für den Sponsor seiner Radioshow beim Bayerischen Rundfunk.

Da zeichnet sich ein Muster ab. Wenn er gescheitert ist, dann lag es oft daran, dass er sich mit seinen Bedenken, die er durchaus früh hegte, nicht durchgesetzt hat, dass er, der ansonsten die größten Mehrzweckhallen problemlos in den Griff bekommt, hinter den Kulissen stets konfliktscheu blieb und blauäugig hoffte, es werde sich schon das Richtige ergeben. "Ich habe mich nie mit meiner Autorität durchgesetzt", bilanziert er. Immer hat er darauf vertraut, dass er das Ganze schon mit seiner Geistesgegenwart retten werde. Oder die anderen haben gedacht, dass er schon allein geradebiegen werde, was viele krumm gemacht hatten. "Da habe ich mich manchmal verhoben", gesteht er.

Aber mutlos ist er deshalb nicht geworden. Das mag daran liegen dass er es längst nicht mehr fürs Geld tut. Wenn er Glück hat, decken seine Honorare die Kosten. Silvester moderiert er im Bayerischen Rundfunk eine Radioparty. "Ich krieg wahrscheinlich nur 2000 Euro dafür. Aber auf so etwas freu ich mich", sagt er, und dabei hört man, wie in ihm die Leidenschaft lebt. Immer noch.

Zwischendrin kommt die Schaffnerin, und er nestelt ein bisschen umständlich sein ausgedrucktes Online-Ticket hervor und setzt diesen "Hat das so seine Ordnung?"-Schülerblick auf. "Alles richtig gemacht, Herr Gottschalk", sagt die Kontrolleurin. Die Antwort kommt mit seinem gewinnenden Lächeln: "Das habe ich in letzter Zeit nicht oft gehört."

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Außer im Radio vielleicht. Am nächsten Sonntag ist er wieder bei Bayern 1 zu hören. Drei Stunden lang. Radio ist sein Element, da kommt er her, da ist er am besten. "Im Radio habe ich den Final-Cut", sagt er. Da fummelt ihm keiner rein.

Eines will er partout nicht sein: eine traurige Figur. "Dieses Bild lasse ich nicht von mir malen"

Aber natürlich will einer wie er auch gesehen werden. "Ich bin dabei, mich dem ZDF als Altenpfleger anzudienen", sagt er in seiner flapsigen Art und legt noch einen nach. "Ich werde die Klientel in die Dämmerung führen und dann langsam verblassen." Er meint das nicht ernst. Er ist halt immer auf Sendung.

Born to be wild - die 68er Show soll die Sendung im kommenden Jahr heißen. Da will er Menschen in seinem Alter, die also wie er 1968 ihren 18. Geburtstag feierten, zusammenbringen mit jenen, die 1968 geboren wurden. Dass er dann selbst 68 wird, dürfte die Glaubwürdigkeit unterfüttern. "Zwei Shows im Jahr, da wäre ich überglücklich", sagt er. Ob das klappt, entscheidet der Sender.

Ein bisschen spielt da auch ein Aufbäumen gegen den Trend mit. Er mag das nicht, wenn die Alten freiwillig kapitulieren: "Wir dürfen uns den Schneid nicht abkaufen lassen. Wir haben uns in eine Form der Defensive zurückgezogen", sagt er und macht klar, dass er eines mit Sicherheit nicht ist: eine traurige Figur. "Dieses Bild lasse ich von mir nicht malen", sagt er.

Da wird er ernst und macht deutlich, dass er noch ein bisschen vorne mitspielen will. Deshalb twittert er auch. Else Buschheuer, die Lektorin seiner Autobiografie, hat ihn gefragt, ob er ewig ein dauerblonder Altjüngling bleiben oder zum coolen Alten werden wolle. Natürlich wollte er cool sein. "Bei Twitter bin ich ein bisschen der tüttelige Alte, aber die mögen mich da."

Schnell hat er begriffen, wie das geht mit dem Kurznachrichtendienst. Er teilt sein Leben jetzt auch im Netz und nicht mehr nur auf der Straße - was sein Malibu-Leben von den Tagen in Deutschland klar unterscheidet: "Wenn ich weg bin, bin ich weg. Wenn ich da bin, kriegt mich jeder."

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Wie das geht, sieht man, als der ICE um 13.24 Uhr in Hamburg einläuft. Kurz danach dröhnt es schlachtrufartig durch die Bahnhofshalle. "Thoooomas Gottschalk", brüllen zwei Jugendliche, und schon ist wieder Selfie-Time. Alle wollen eins mit ihm, alle kriegen eins. Er ist da. Gekommen, um noch eine Weile zu bleiben.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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