Freie Presse in Ungarn:"Wir haben unsere Lektion gelernt"

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Die designierte Chefin des neuen Projekts: Veronika Munk. (Foto: ATTILA KISBENEDEK/AFP)

Die beliebte Webseite Index.hu ist von Gewährsleuten der Orbán-Regierung übernommen worden. Die Journalisten, die deshalb gingen, starten jetzt Telex.hu - über Crowdfunding.

Von Cathrin Kahlweit

Vor knapp zwei Monaten kündigte fast die gesamte Redaktion der populären ungarischen Nachrichtenwebseite Index.hu aus Protest ihre Jobs; einen Tag zuvor war Chefredakteur Szabolcs Dull gefeuert worden. Er hatte, im Namen der Kollegen, vor dem Verlust der redaktionellen Unabhängigkeit der beliebten Webseite gewarnt - politische Interventionen hätten zugenommen und es seien Umstrukturierungen zulasten der journalistischen Freiheit geplant gewesen.

Nun startet das ehemalige Index-Team ein neues Projekt; mehr als 50 Journalisten aus der alten Redaktion, die wiederum mittlerweile von Gewährsleuten der Orbán-Regierung geleitet wird, wollen kommende Woche mit Telex.hu an den Start gehen. Per Crowdfunding wurde Geld gesammelt, mehr als 30 000 Spenden sind bereits zusammengekommen, und die designierte Chefredakteurin Veronika Munk, die bei Index Stellvertreterin von Szabolcs Dull gewesen war, ist optimistisch: "Wir haben unsere Lektion gelernt. Ein Medium, das im Besitz von großen, externen Investoren und von Werbung abhängig ist, ist verwundbar. Deshalb wollen wir selbst die Eigentümer unserer neuen Plattform sein und ein Abo-Modell entwickeln." Bisher gebe es derartiges in Ungarn nicht, aber sie habe den Eindruck, dass viele Ungarn bereit seien, Geld für verlässlich recherchierte Fakten zu zahlen. Hunderttausende hätten Index genutzt, bevor es von regierungsnahen Kreisen übernommen wurde, und viele seien nun offen für Neues.

Telex.hu wird sich damit in eine Reihe mit anderen, kleineren, unabhängigen Medien einreihen, die sich der Medienpolitik der ungarischen Regierung entgegenstellen. Etwa 80 Prozent der ungarischen Medien stehen mittlerweile unter dem Einfluss der Regierung oder werden von Orbán-freundlichen Geschäftsleuten gemanaged. Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass einer der letzten unabhängigen Radiosender, Klubradio, vom kommenden Jahr an keine Lizenz mehr erhalten wird. Klubradio hatte über Jahre immer wieder erst nach langem Ringen eine Verlängerung der Sendelizenz erhalten; nun steht es vor dem Aus. Begründet wurde das von der ungarischen Medienbehörde damit, dass es "Verstöße gegen Verordnungen des Mediengesetzes" gegeben habe. Rechtsmittel kann Klubradio nicht einlegen; die Frequenz wird neu ausgeschrieben.

Veronika Munk glaubt daher umso mehr, dass neue Projekte eine Chance hätten: Telex.hu wolle nicht nur über Politik und öffentliche Belange berichten, sondern auch Wirtschaft, Sport, Kultur und Entertainment abdecken. Bereits jetzt folgten mehr als 300 000 Menschen Telex auf Facebook, wo die ersten Artikel veröffentlicht würden, bevor die Webseite online gehe. Die Aufmerksamkeit in Ungarn und im Ausland sei groß, und man sei schon jetzt recht bekannt. Das spare, bei aller Trauer über die Entwicklung der vergangenen Monate, immerhin Werbekosten. Bei Demonstrationen für die Pressefreiheit in Ungarn, die nach dem spektakulären Aus für Index.hu in seiner bisherigen Form stattfanden, waren Tausende auf die Straße gegangen.

Von Regierungsseite habe es bisher keine Reaktion gegeben. Allerdings hat Premier Viktor Orbán erst vor wenigen Tagen in einem Fernseh-Interview einmal mehr deutlich gemacht, wie er auf das Thema Medienfreiheit in seinem Land blickt: Aus unerfindlichen Gründen glaube man in Deutschland, die bessere Demokratie und mehr Pressefreiheit zu haben, beides sei falsch. "Wenn ich etwa den Medienpluralismus nehme, so steht Ungarn besser da als Deutschland." Was die Rechtsstaatlichkeit angehe, so seien beide Länder gleichauf. Es sei aber charakteristisch für große Länder, dass sie immer alles besser wüssten.

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