"Tatort" aus Dresden:"Und das Christkind ist schwul, oder was?"

Lesezeit: 3 min

Der Wortwitz ist in diesem Dresdner "Tatort" sehr einseitig zu Gunsten der Frauen verteilt: Die Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) (Foto: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Mueh)

Im Dresdner "Tatort" treffen alte Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen-Männer auf junge Weltverbesserinnen. Das verläuft wenig konstruktiv, ist aber lustig anzusehen.

Von Luise Checchin

Die Erkenntnis:

Wie viel Fortschritt und Weltoffenheit braucht das Land? Das fragt sich die deutsche Gesellschaft seit geraumer Zeit, und wie immer, wenn die deutsche Gesellschaft sich etwas seit geraumer Zeit fragt, landet die Frage irgendwann im Tatort. In "Auge um Auge" treffen alte Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Männer auf junge Weltverbesserinnen. Dabei müssen die beiden Gruppen etwas tun, was ihnen wenig liegt: miteinander reden. Das Resultat ist ein nicht gerade harmonischer, aber recht vergnüglicher Tatort.

Darum geht es:

Heiko Gebhardt, Abteilungsleiter der Versicherung Alva, wird durch das Fenster seines Büros von einem Scharfschützen erschossen. Menschen, die ein Motiv für die Tat hätten, gibt es reichlich - von Alva-Kunden, denen der profitgetriebene Gebhardt ihre Versicherungszahlungen verweigerte, bis zu seinem firmeninternen Rivalen Rainer Ellgast. Dessen ausländerfeindliche Altherrensprüche findet Kommissariatsleiter Schnabel im Übrigen ziemlich dufte. Endlich mal ein Typ, mit dem es sich reden lässt, scheint er zu denken. Zumal die jungen Oberkommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak sowieso immer anderer Meinung sind als er. Und dann besitzt die Kollegin Sieland auch noch die Frechheit, Schnabels ausgesonderten Dienstcomputer einer Syrerin zu spenden.

Bezeichnender Dialog:

Rainer Ellgast, der die Versicherungsgeschäfte von Alva kommissarisch übernommen hat, erklärt Kommissar Schnabel, warum das vom toten Gebhardt initiierte "Winterfest" trotz des Mordes stattfinden soll.

Ellgast: Naja, weil ihm das wichtig war, dieses Fest. Diese Außenwahrnehmung der Alva. Toleranz und ... bunt.

Schnabel: Bunt?

Ellgast: Das ganze Multikulti-Ding, da stand der drauf.

Schnabel: Was heißt das?

Ellgast: Nichts.

Schnabel: Nichts heißt fast nie nichts.

Ellgast: Ja, was soll ich sagen? Der Kollege Gebhardt meinte, jetzt nur mal so als Beispiel, dass der Nikolaus eigentlich aus der Türkei kommt. Deswegen hat er einen Türken für die Rolle engagiert. Falafelstände fürs Essen - und das ganze Zeug.

Schnabel: Türkischer Nikolaus?

Ellgast nickt.

Schnabel: Und das Christkind ist schwul, oder was?

Die beiden müssen lachen.

Top:

"Auge um Auge" gelingt es, ernste Dinge heiter zu erzählen. Das liegt einmal daran, dass der Film mit einer angenehmen Leichtigkeit inszeniert ist. Ganz am Anfang zum Beispiel: Da beschwört ein Ehepaar an einem Aussichtspunkt hoch über der Stadt seine Liebe. Die beiden stoßen mit Sekt auf ihren Hochzeitstag an. Doch kaum hat die Frau ihren querschnittsgelähmten Mann eine Sekunde aus den Augen gelassen, saust er mit vollem Karacho im Rollstuhl den Berg hinunter. Ein Suizidversuch, der nur knapp von Passanten gestoppt werden kann. Die Szene hätte leicht klamaukig wirken können, aber das ist sie nicht, sie ist traurig und komisch zugleich.

Der Hauptgrund aber, warum man in "Auge um Auge" mitunter wirklich lachen muss, liegt in den ausgezeichneten Dialoge. Die retten auch den - meist doch recht konstruiert wirkenden - Konflikt zwischen Altherren-Fraktion und jungen Idealistinnen. Wobei auffällt, dass der Wortwitz ziemlich einseitig zu Gunsten der Frauen verteilt ist. Sehr schön etwa der Kommentar von Kommissarin Gorniak, als sich herausstellt, dass der Dönerimbiss, in dem der Verdächtige Ellgast angeblich gegessen hat, zur Tatzeit geschlossen war: "Soweit ist es gekommen, jetzt versauen die Türken den Deutschen schon die Alibis."

Flop:

Was den Kriminalfall angeht, hat "Auge um Auge" jedoch nicht viel zu bieten. Während zu Beginn immerhin noch ganz passabel Spuren gelegt werden, kippt der Plot gegen Ende ins Peinlich-Klischeehafte. Dass der Showdown im verglasten Panoramabüro stattfindet, kann man vielleicht noch akzeptieren. Dass die Bösewichtin eine rachsüchtige Rothaarige ist - geschenkt. Aber muss sie wirklich Sätze sagen, wie: "Die Leute draußen wüten gegen die armen Schweine, aber keiner wütet gegen die reichen Schweine"? Nur weil man die Geschäftemacherei von Versicherungen anprangern will, heißt das doch nicht, dass man automatisch in Floskeln verfallen muss.

Die Pointe:

Die Kommissarinnen Sieland und Gorniak haben ihr Leben riskiert, da wird selbst der Kollege Schnabel etwas weicher. Ob er Sieland noch nach Hause fahren kann, will er wissen. Doch die ist nachtragend und lehnt ab. Es gibt also kein versöhnliches Ende, keine Verständigung zwischen rechtem und linkem Lager. In diesem Punkt spiegelt "Auge um Auge" die bundesrepublikanische Realität ganz gut wider.

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