Studie zu Migration in Berichterstattung:"Das ist doch Agenda Setting"

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"Unglücklich": Mehr als ein Drittel der Zeit beim TV-Duell diskutierten Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) über Migration. (Foto: dpa)
  • Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung hat untersucht, ob ARD und ZDF im Wahljahr 2017 "Agenda-Setting" betrieben haben.
  • Der Vorwurf an die Öffentlich-Rechtlichen lautete damals: Mit einer Fixierung auf die Themen Migration und Islamismus habe man die AfD "bundestagsfähig" gemacht.
  • Auf ein abschließendes Urteil verzichtet die Studie, sieht bei den TV-Duellen allerding keine ausgeglichene Themenverteilung.

Von Benjamin Emonts

Nach der Bundestagswahl 2017 gerieten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF schwer in die Kritik. Politiker wie Joachim Herrmann (CSU) warfen den Sendern vor, in ihren Politiksendungen die Themen Migration und Islamismus zu viel behandelt und damit den Wahlerfolg der AfD gefördert zu haben. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann forderte gar eine einjährige Sendepause für alle Polittalkshows der beiden Sender. Denn durch sie, so lautete Zimmermanns Vorwurf, sei die AfD erst "bundestagsfähig" geworden.

Aber was ist dran an den Vorwürfen? Haben ARD und ZDF, wie die Kritiker behaupteten, tatsächlich "Agenda-Setting" betrieben? Sprich: durch ihre Themenausauswahl bewusst die Prioritäten und das Wahlverhalten der Zuschauer beeinflusst?

Die Otto-Brenner-Stiftung liefert dazu nun Zahlen. Die Medienwissenschaftler Gabriele Hooffacker und Marc Liesching von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig untersuchten unmittelbar vor der Bundestagswahl einen Monat lang die politischen Sendungen von ARD und ZDF auf ihre Themenschwerpunkte, insgesamt 56 Talkshows, Politmagazine und Dokumentationen. In den fünf meistgesehenen Sendungen war demnach Migration tatsächlich das dominierende Thema mit mehr als 20 Prozent der Sendezeit.

Als eklatant erwies sich diese Fokussierung beim TV-Kanzlerkandidatenduell, das Anfang September 2017 mehr als 16 Millionen Deutsche verfolgt hatten. Mehr als ein Drittel der Zeit debattierten Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) über Migration, während etwa Umweltfragen nur 8,5 Prozent ausmachten. Studienautorin Gabriele Hooffacker bezeichnet diesen Umstand als "unglücklich". "Das hat die Wahrnehmung der Leute so beeinflusst, dass sie sich dachten: Das ist doch Agenda-Setting."

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Auf ein abschließendes Urteil aber verzichten die Forscher Hooffacker und Liesching, vielmehr verstehen sie ihr Zahlenwerk als "umfassendes Faktenfundament" für eine sachliche Debatte über mediale Themensetzungen. Ohnehin lässt sich die Frage, ob Agenda-Setting stattfand, allgemein kaum beantworten im Untersuchungszeitraum. Während das TV-Duell eindeutig dahin tendiert, stellten die Autoren bei der Betrachtung aller 56 Sendungen eine "insgesamt eher ausgeglichene Themenverteilung" fest. Gerade bei den Polittalkshows, die nach der Bundestagswahl besonders kritisiert worden waren, bestätigte sich der Vorwurf nicht. Das Thema Migration rangiert hier gerade mal auf Rang sechs.

"Klassisches journalistisches Handwerk des Nachhakens und Zuspitzens"

Ebenso schwer zu beantworten ist die Frage des "Framings": der womöglich den Zuschauer beeinflussenden Deutung eines gewissen Themas. Die Befragung von Studenten zur Objektivität und Neutralität von Moderatoren der politischen Sendungen ergab, dass ein Viertel der gestellten Fragen aus deren Sicht als suggestiv- deutend, manchmal auch provokant beurteilt werden kann. Die befragten Redakteure bezeichneten dies jedoch als "klassisches journalistisches Handwerk des Nachhakens und Zuspitzens".

Redaktionsleiter wie der Chef der Sendung Menschen bei Maischberger, Theo Lange, wurden gefragt, ob die Themensetzung das Wahlverhalten der Zuschauer beeinflussen könne. Wenn eine Wahl und eine Entscheidung anstehen, "sind wir auch journalistische Dienstleister", lautet Langes Antwort. "Wir wollen Meinungen abbilden, wollen spannende Diskussionen und ja, vielleicht auch eine Entscheidungshilfe geben.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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