Streit um BBC-Reportage:Undercover nach Nordkorea

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Sie reisten inkognito und filmten heimlich. BBC-Reporter schlossen sich Studenten der London School of Economics an, um in Nordkorea zu drehen. Jetzt wirft die Uni der Rundfunkanstalt vor, die Studenten in Gefahr gebracht zu haben. Ein mitgereister Student hält dagegen: Die LSE biedere sich bei dem Kim-Regime an.

Von Niklas Nau, London

Filmmaterial, das aus Nordkorea an die Außenwelt dringt, ist meist Propaganda mit dem Charme eines Achtzigerjahre-Trashfilms. Zuletzt erntete ein Video, in dem unter Synthesizer-Klängen Thermonuklearschläge Ziele in den USA treffen, im Internet reichlich Spott. Denn eines der Ziele liegt in Wirklichkeit etwa 1500 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem es die nordkoreanische Propaganda vermutet.

Bilder vom Leben und Leid der hungernden und unterdrückten Bevölkerung aber sind fast unmöglich zu bekommen. Journalisten, die ein offizielles Visum erhalten wollen, müssen oft eine skurrile Odyssee auf sich nehmen um ins Land zu kommen. So erhielten Reporter des Online-TV-Senders Vice ihr Visum nach eigener Aussage erst, als sie bei einer Folkloreveranstaltung in patriotische Lieder eingestimmt hatten.

Haben Journalisten schließlich ein offizielles Einreise-Visum erhalten, können sie nur unter dem wachsamen Auge des nordkoreanischen Überwachungsstaats arbeiten. Auch Touristen können sich nicht frei im Land bewegen, dennoch versuchen Reporter immer wieder unter dem Deckmantel eines Touristenvisums nach Nordkorea einzureisen. Das birgt Gefahren, denn bei Enttarnung drohen Sanktionen.

Dieses Risiko nahm Ende März ein dreiköpfiges Filmteam um den BBC-Journalisten John Sweeney auf sich, das undercover nach Nordkorea reiste, um Material für BBC Panorama, das Investigativ-Flagschiff des BBC, zu filmen. Ihre Tarnung: Sweeneys Frau Tomiko organisierte eine Reise für Studenten der renommierten London School of Economics, denen sich das Filmteam anschloss."

Sweeneys Frau schloss kürzlich ihr Studium an der LSE ab, der Reporter selbst erwarb dort 1980 seinen Bachelor. Doch gegenüber den nordkoreanischen Behörden gaben die beiden sich und ihren Kameramann als Studenten und Fakultätsmitglieder aus, um ein Visum zu bekommen. Die LSE wirft dem Sender nun öffentlich unethisches Handeln vor und ist erbost, dass ihr Name ohne Absprache missbraucht wurde.

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Ein Reporter der BBC hatte sich als Student ausgegeben und einer Studienreise nach Nordkorea angeschlossen - angeblich ohne Wissen der zuständigen London School of Economics. "Täuschung und Lüge" wirft deren Direktor der Rundfunkanstalt nun vor.

Am Samstag machte die Leitung der LSE ihre Studenten und Mitarbeiter in einer internen Mail auf die Reportage aufmerksam und brachte schwere Vorwürfe gegen die BBC vor. Nicht nur habe das Handeln der Reporter dem Ruf der Universität geschadet und gefährde die Arbeit der Universitätsmitglieder in Nordkorea und anderen "sensiblen Ländern".

Auch die mitreisenden Studenten seien von der BBC getäuscht und verantwortungslos in Gefahr gebracht worden. Eine Vertreterin der Studentenvereinigung nannte das Vorgehen der BBC "eine Schande" und sagte, die Studenten seien als menschliche Schutzschilde benutzt worden.

Der Sender weist die Vorwürfe zurück. In einem Interview gibt John Sweeney zwar zu, man habe den Studenten lediglich gesagt, dass "ein Reporter" die Gruppe begleiten werde, nicht dass ein ganzes Filmteam auf einem Zwischenstopp in Peking zu ihnen stoßen würde. Allerdings seien alle Teilnehmer vor der Abreise mehrmals auf das mit der Reise verbundene Risiko hingewiesen worden und sich dessen bewusst gewesen.

Weiter argumentiert die BBC, genauere Informationen seien den Studenten deswegen vorenthalten worden, um sie im Falle einer Entdeckung durch die nordkoreanischen Behörden zu schützen. Die Reise war beim BBC von höchster Stelle abgesegnet worden. Programmchef Ceri Thomas sagte dem Independent, die Gefahr für die Studenten sei akzeptabel gewesen.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes hieß es unter Berufung auf die BBC, dass ausländische Journalisten nicht nach Nordkorea einreisen können. Diese Darstellung ist nicht zutreffend. Denn ausländische Journalisten reisen immer wieder offiziell für Reportagen nach Nordkorea. Jean H. Lee, die Bürochefin der Nachrichtenagentur AP in Seoul, die unter @newsjean twittert, hält sich regelmäßig in Pjöngjang auf. Auch die SZ hat bereits Reporter nach Nordkorea entsandt. Allerdings unterliegt die Visavergabe an ausländische Journalisten keinen festen Regeln und wird immer wieder verweigert. Journalisten, die offiziell in Korea recherchieren, fühlen sich nach einem Report des US-Magazins Foreign Policy in ihrer Arbeit deutlich eingeschränkt. Das trifft auch auf AP zu. Um diesen Aspekt gebührend darzustellen, haben wir diesen Artikel unter Berufung auf die Erfahrungen des Online-TV-Senders Vice ein zweites Mal geändert.

Unterstützung bekommt der Sender dabei auch von einigen Studenten. Einer der zehn Reiseteilnehmer, der anomym bleiben möchte, sagte der SZ: "Ich denke es war allen vor der Abreise sehr klar, was vor sich ging. Auch denjenigen, die sich nach der Rückkehr nun bei der LSE beschwert haben. Ein Reiseteilnehmer, der sich nach der Rückkehr beschwert hat, hat sogar ein iPhone in Sperrzonen geschmuggelt, um dort zu filmen, und behauptet selbst investigativer Journalist werden zu wollen." Erst nach der Rückkehr sei der plötzliche Meinungswandel gekommen, angeblich auf Druck eines Vaters mit Wirtschaftsinteressen in China, der sich direkt beim BBC beschwert habe, erzählt er.

Die massive Reaktion der LSE sei mit den Reiseteilnehmern nicht abgestimmt worden, sagte der Student und vermutet, die LSE sei deutlich weniger am Wohl der Reiseteilnehmer, die überwiegend hinter der Sendung stünden, als an ihrem Ruf interessiert. Dazu gehöre auch das Verhalten des Direktors der LSE, Craig Calhoun, der in einem Twitter-Post bezweifelt hatte, dass die Reportage viel Neues zeige und Studenten unnötig gefährdet hatte:

Seit ihrer Rückkehr sind bei den Studenten Mails aus Nordkorea eingegangen. Darin droht ein Vertreter der nordkoreanischen Regierung, persönliche Daten und Pässe aller Reiseteilnehmer öffentlich zu machen. Drei Studenten wurde nach ihrer Rückkehr unwohl bei dem Gedanken, ihre Gesichter einem Millionenpublikum zu zeigen. Sie verlangten von der BBC, sie in der Dokumentation unkenntlich zu machen.

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Die LSE erwartet aber nicht nur eine öffentliche Entschuldigung der Journalisten, sondern verlangt - wie auch die nordkoreanischen Behörden - dass die Reportage nicht ausgestrahlt wird. Der Sender lehnt dies ab. Das öffentliche Interesse an Nordkorea überwiege. John Sweeney zeigte sich "verwundert, dass eine Organisation, die sich den freien Gedankenaustausch auf die Fahnen schreibt, die Ausstrahlung einer Dokumentation verhindern will." Ein Seitenhieb gegen die LSE, deren ehemaliger Direktor Sir Howard Davies 2011 zurücktreten musste, als bekannt wurde, dass die Universität Spenden des lybischen Diktators Muammar al-Gaddafi angenommen hatte.

Auch der mitgereiste Student meint: "Selbst das, was wir in der kurzen Zeit in Nordkorea gesehen haben, ist unglaublich verstörend. Und auch John und sein Team sind davon tief getroffen und nur daran interessiert, die Verhältnisse öffentlich zu machen. Es ist ein schwieriges Thema, aber wenn der Preis für die Reportage die guten Beziehungen der LSE zu Nordkorea sind, dann ist es das meiner Meinung nach wert."

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