Sport-Kommentator Sigi Heinrich:"Als TV-Mensch muss ich Emotionen wecken"

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Olympia findet ohne ihn statt: Eurosport-Mann Sigi Heinrich verbringt die kommenden Wochen weit weg von Sotschi. (Foto: N/A)

Seine Stimme kennt jeder, der beim Sender Eurosport reinzappt: Sigi Heinrich war seit 1992 bei allen Olympischen Spielen als Kommentator dabei - diesmal fehlt er. Ein Gespräch über brüllende Österreicher, Phrasendrescherei am Mikrofon und Expertenwissen.

Von Jonas Beckenkamp

Kunstturnen und Volleyball ("Ich liebe Volleyball"), das sind seine Sportarten. Sigi Heinrich, Jahrgang 1953, war in beiden Disziplinen aktiv, bevor der ausgebildete Sportlehrer die andere Seite entdeckte. Als 1989 der kontinental empfangbare Sender Eurosport das Licht der Mattscheibe erblickte, war er als Sprecher dabei. Begonnen hat er einst als Ski-Kommentator, doch mittlerweile berichtet der gebürtige Bayer über fast alles: Leichtathletik, Skispringen, Biathlon, Olympische Spiele. Auch wenn nicht alle seine kumpelige Art zu kommentieren mögen: Egal was läuft, bei Eurosport ist stets Sigi Heinrich zu hören . Gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Thiele erhielt er für seine Reportagen von den Spielen in Peking 2008 den Deutschen Fernsehpreis.

SZ.de: Sie waren seit 1992 bei allen Olympischen Spielen live dabei - diesmal werden Sie fehlen. Warum?

Sigi Heinrich: Das liegt an den komplizierten Übertragungsrechten. Das IOC vergibt die Rechte mittlerweile scheibchenweise an verschiedene Sendeanstalten in Europa. So haben sich einige Länder Exklusivrechte ins Papier schreiben lassen - dadurch verlieren wir bei Eurosport unsere Geschäftsgrundlage, denn wir sind ein international ausgerichteter Sender, der in 54 Nationen sendet. Wenn wir aber die Hälfte dieser Länder nicht mehr bedienen können, macht es für uns keinen Sinn.

Sind Sie enttäuscht oder freuen Sie sich, dass jetzt Ferien anstehen?

Ein Journalist freut sich nie über Urlaub. Ich schon gar nicht, denn ich bin als Workaholic bekannt. Ich bin schon leicht frustriert, weil ich gerne dabei wäre. Jetzt fliege ich nach Teneriffa. Nach dem Motto: Wenn sie mich im Winter nicht wollen, gehe ich in den Sommer.

Neulich kommentierten Sie noch den Ski-Weltcup in Schladming. Ausgerechnet beim Jahres-Highlight in Sotschi sind Sie zum Zuschauen verdammt.

Das ist nicht schlimm. Ich bin bei so vielen verschiedenen Sportarten dabei, da komme ich eh auf meine Kosten. So geil wie in Schladming wird der Slalom bei Olympia nicht, davon bin ich überzeugt. Als Kommentator hat dieses Rennen sicher mehr Spaß gemacht als das in Sotschi.

Wer bei Eurosport reinzappt, kennt ihre Stimme - egal, ob Skifahren, Turnen oder Leichtathletik. Was macht einen "Alleskommentator" aus?

Ein hohes Maß an Sportinteresse. Es hilft natürlich auch, selber aktiv zu sein, um die Leistungen der Profis besser einschätzen zu können. Einem Kommentator sollte es Spaß machen, den Sport zu vermitteln. Als TV-Mensch muss ich journalistisch arbeiten, aber eben auch Emotionen wecken. Je besser ich das tue, desto höher sind die Einschaltquoten.

Bei Olympia in London kannten Sie und ihr Kollege Dirk Thiele selbst die Bestzeiten kenianischer Außenseiter. Alles nur Fassade oder richtige Nerd-Expertise?

Das haben wir drin. Natürlich bereite ich mich auf jeden Athleten vor. Es gibt keine Sportart, die mehr Akribie erfordert als Leichtathletik. Eigentlich sollte es dafür Extra-Bezahlung geben, denn es ist wahnsinnig aufwändig. Da passiert so viel, dass ich manchmal gar nicht hinterherkomme.

Wie studieren Sie einen Wettbewerb und seine Teilnehmer? Woher weiß man, welche Pistenvorlieben der Drittletzte bei einem Skirennen hat?

Vor 25 Jahren wusste ich das auch noch nicht. Das klingt vielleicht altbacken, aber es hat auch mit Erfahrung zu tun. Beim Skifahren kommt mir entgegen, dass mir ein Co-Kommentator als Experte zur Seite steht. So kann einer von den Persönlichkeiten am Hang erzählen und der andere schaut aufs Skifahren. Für mich ist es dadurch angenehmer, weil ich nicht haarklein analysieren muss, wie einer fährt. Das macht mein Kollege - während ich mich darum kümmere, eine gute Show zu liefern.

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Der Sender Eurosport zeigt keinen neumodischen Kram wie Beachvolleyball, sondern hat eine eigentümliche Liebe zum Gewichtheben. Und zur Leichtathletik. Dann laufen die Kommentatoren Dirk Thiele und Sigi Heinrich sich so richtig warm, vor Phrasen schrecken sie nicht zurück - doch das macht gar nichts.

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In ihrem Sender ist der Ton "internationaler", ohne deutsche Brille. Wie verändert das Ihre Arbeit im Vergleich zu den Kollegen von ARD und ZDF?

Nehmen wir Biathlon als Beispiel. Das haben Schweizer und Österreicher lange Zeit gar nicht übertragen, in Italien bzw. Südtirol ist es bis heute nicht zu sehen. Das heißt, mein Publikum sind deutschsprachige Zuschauer aus mehreren Ländern. Ich muss mich beim Kommentieren um alle kümmern und baue Kontakte zu Trainern verschiedener Nationen auf. Das hat mich sehr verändert. Ich musste zum Europäer werden. Mit der Zeit empfindest du für alle den gleichen Enthusiasmus. Aus deutscher Sicht wirft man mir diese Neutralität manchmal vor, aber ich halte diese Gratwanderung für notwendig.

Das öffentlich-rechtliche TV nervt immer mehr mit Kuschelberichterstattung - bei Eurosport klingt alles etwas ungeschliffener. Schon mal Ärger bekommen?

Der Kuschelkurs ist angenehm. Mein Kurs ist ein anderer und deswegen kriege ich schon ab und zu eins auf die Mütze. Da nehmen mich Funktionäre zur Seite und sagen: Sigi, könnten wir mal reden? Da merkst du schon am Tonfall: Hoppla, haben wir uns wieder vergriffen? Ich trage mein Herz eben auf der Zunge, das vertrete ich auch gegenüber Verbänden. Ich will Journalist sein, da gehören klare Worte dazu. In meinem Sender habe ich große Freiheit, bei anderen Anstalten mag das anders sein. Vielleicht werden die Berichterstatter da zum Hochjubeln getrieben.

Die Öffentlichen sind zu unkritisch, Eurosport klingt dafür oft wie ein Stammtisch für Floskelbrüder. Wie viel "Kult" ist dem Zuschauer zuzumuten?

Phrasen und hohles Zeug werden Sie bei mir nicht hören! Ich bin Wortpurist. Dinge wie "Hinten wird die Ente fett" oder "Mein lieber Herr Gesangsverein" gibt es bei mir unter Garantie nicht. Die Sprache entwickelt sich bei mir aus dem Bauch heraus, da ist nichts vorbereitet. Das sind Emotionen. Wenn ich so ein Rennen wie in Schladming kommentiere, bin ich danach fix und fertig. Polarisieren ist nicht verkehrt. Das gehört zum Geschäft.

Die schrillsten Emotionen bieten Skirennen im ORF, denn dort wird noch richtig gebrüllt und gelitten ...

Ich muss sagen, dass ich von den Österreichern enttäuscht bin. Das ist nichts anderes als " Ahhh" und "Oohhh" oder "Auf geht's, pack'mers Bursch'n" - aber für die Skination Nummer eins finde ich das zu wenig fachliche Analyse. Das vermisse ich. Es kommt auf die Mischung zwischen Unterhaltung und Expertise an.

Und wenn doch mal was danebengeht?

Das merke ich sofort, da bekomme ich Bauchschmerzen und schlafe schlecht. Wenn ich ein falsches Ergebnis verkünde oder einen Namen verwechsle, macht mich das narrisch. Bei einem 100-Meter-Lauf ist es am schwierigsten: Die rennen ins Ziel, ich rufe den Ersten, Zweiten, Dritten aus - und muss mir sehr sicher sein. Wenn dann rauskommt, dass doch ein anderer der Sieger ist, bricht für mich eine Welt zusammen. Seit ein gewisser Usain Bolt mitläuft, ist es zum Glück immer recht einfach, weil er allen davon saust.

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