Solitary, Promi-Dinner und Co.:Karussell der Komischen

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Wer am besten die Zunge rausstrecken kann, gewinnt: Blamage-Shows sind die Heimat der D-Prominenz. Warum tun sich die Kandidaten das an - und warum das Publikum?

Lena Jakat

Martin Kesici hat keine Lust mehr. Seit vier Tagen sitzt er in seiner winzigen Plastikzelle, die an eine vollautomatische Großstadttoilette erinnert. In seiner selbstgewählten Haft ist er mutterseelenallein. Fast: Den einzigen Kontakt zur Außenwelt bilden eine Computerstimme, die ihn zu wahnwitzigen Spielchen antreibt und eine Kamera. Kesici ist wie acht andere Kandidaten Teil der Pro-Sieben-Reality-Show Solitary.

Am Samstag fällt die Entscheidung bei Pro Siebens jüngster Blamage-Show "Solitary". Warum tun sich Kandidaten und Publikum das an? (Foto: Pro Sieben)

Das Format mit dem zynisch anmutenden Untertitel "Besieg dich selbst!" ist das jüngste Projekt in der Riege von Dschungelcamp bis Let's Dance und Das perfekte Promi-Dinner. Die Shows funktionieren alle nach demselben Prinzip: Mehr oder weniger Prominente stellen sich vor laufender Kamera mehr oder weniger großen Herausforderungen. Warum tun sie das? Und warum kommen diese Ego-Shows beim Publikum so gut an?

Die Teilnehmer, Promis aus der vierten, fünften oder sechsten Reihe, sind zum Teil in den sendereigenen Casting-Shows selbst produziert, zum Teil haben sie sich anderswo auf irgendeine Art und Weise den Promi-Status erworben - als Wrestler, Party-Girl oder Mister Deutschland. Sie alle haben aber eines gemeinsam: Sie sind auf das Fernsehen angewiesen, um im Gespräch zu bleiben.

Hausgemachter Star

Damit kennt Kesici sich aus. Auch ihn machte eine Casting-Show bekannt: 2003 gewann er beim Solitary-Sender Pro Sieben die Talentsuche Star Search. Seine Single Angel of Berlin wurde ein Hit. Später schrieb der Berliner das Buch Sex, Drugs & Castingshows: Die Wahrheit über DSDS, Popstars & Co. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, selbst dem Promi-Zirkus erhalten zu bleiben und bei Formaten wie Tattoo Attack mitzumachen - oder eben Solitary. Ihn habe das Konzept gereizt, sagt der 37-Jährige. "Ich wollte wissen, wie das ist: total isoliert, ohne Handy und Internet." Aber Kesici, der eigentlich Musiker ist, Rocker, und vor allem auch so gesehen werden will, ist nicht naiv. Die Funktionsweisen und Effekte des früher ehrfürchtig als Showbiz bezeichneten Geschäfts sind ihm durchaus bewusst.

Bevor er an einer Sendung teilnehme, prüfe er den Vertrag genau, sagt der Berliner. "Ich lass mir keine Rollen aufdrücken." Ins Dschungelcamp würde er zum Beispiel nicht einziehen, das ginge ihm zu weit. Doch kann auch diese Ekelshow nicht über einen Mangel an Promis klagen. Kesici wehrt sich gegen den inflationär gewordenen Titel "Promi": "Ob ich da als A- oder B-Promi gelte ist mir schnurzpiepe", sagt er. "Aber die Leute erkennen mich so auf der Straße schneller, man ist wieder im Gespräch." Ohne Castingshow keine Bekanntheit, ohne Bekanntheit keine Einladung für Folgeformate. Sendezeit ist Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist Geld.

Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger nennt dieses System die "Ökonomie der Bekanntheit". Hallenberger forscht über die Veränderung von Prominenz. "Schon die Erfindung des Fernsehens machte die unerreichbaren Leinwandstars zu 'biederen Hausfreunden'", sagt er. "Mit der Vermehrung der Kanäle hatte das Fernsehen dann einen größeren Bedarf an Stars - die es allerdings nur in begrenzter Anzahl gab." So sei das Konzept des famous for being famous entstanden, Berühmtheit, die nicht länger an irgendeine spezifische Leistung oder einen Status geknüpft ist. Mutter dieser Entwicklung in Deutschland ist Verona Pooth: Jeder kennt sie, aber niemand weiß so recht, woher.

Ein "in sich rotierendes System" nennt das Norbert Schneider, der Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen. "Wenn jemand oft genug im Fernsehen zu sehen ist, kann er so den Mehrwert seiner Person steigern." Und das nicht nur indirekt, denn schließlich winken für die Teilnahme an solchen Shows auch Gagen. "Die gehören zu unserem Job nun mal dazu", sagt Benny Kieckhäben. Der 20-jährige hat sich bei Deutschland sucht den Superstar auf Platz fünf gesungen, beim Promi-Dinner heiße Himbeeren mit Vanilleeis und Crêpes serviert und bei Solitary in die Kamera gejammert. "Wenn Anfragen reinkommen, entscheide ich gemeinsam mit dem Management, was passt", so Kieckhäben.

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Medienwissenschaftler Hallenberger weist auf ähnliche Karrieren im Musikgeschäft hin: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere füllt ein Künstler große Stadien, die mit schwindender Aufmerksamkeit immer kleiner werden. Am anderen Ende der Karriereleiter ist der Auftritt bei Firmenfesten zu finden, die Eröffnung von Supermärkten - oder ein Abend als VIP-Gast zur Aufwertung von Parties, ergänzt Schneider: "Da steht man herum und denkt: 'Da drüben ist ja der Kübelböck.'"

Ob Auftritte zwischen Firmenfest und Promi-Dinner die TV-Karrieren langfristig fördern, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. "Auf mich wirkt das bisweilen wie Verzweiflungsaktionen", sagt Hallenberger. "Und die führen eher selten zum Erfolg." Der Philosoph Georg Franck nannte diese Unsicherheit des Erfolgs kürzlich "Wechselkursschwierigkeiten" beim Tausch von medialer Aufmerksamkeit in bares Geld.

Erfolg aber haben die Sender, die solche Formate ausstrahlen. Die Gagen für die selbstproduzierten Promis, die meist innerhalb einer Senderfamilie durchgereicht werden, sind niedrig, die Quoten stimmen - mehr oder weniger. Die Besetzung der Shows mit den immer gleichen Gesichtern sei ein wichtiges Mittel der Zuschauerbindung, sagt Schneider. "Das Publikum honoriert das Vertraute." Der Effekt sei derselbe wie bei dem Anchorman aus der Nachrichtensendung oder der Zicke aus der Vorabendsoap.

Billige Werbeträger

Bekannte Gesichter sind für die Privatsender auch ein bewährtes Mittel der Cross-Promotion: So gehören Heidis Mädchen nicht nur Heidi, sondern genauso auch Stefan Raab, der sie nach dem Rausschmiss auf die Couch bittet, oder Daniel Aminati, der bei taff ihr Privatleben noch einmal rekapituliert.

Dazu kommt die Fallhöhe, die Prominenz gleich welcher Art mit sich bringt. Die Macher von Shows wie Solitary oder auch dem Promi-Dinner setzen auf Skandal, Konflikt oder wenigstens Blamage. Ein Skandal um Kesici oder Kieckhäben ist freilich nicht so aufregend wie der um Madonna oder Brad Pitt - aber wären völlig Unbekannte darin verstrickt, wäre es komplett uninteressant.

Die neuen Prominenten sind auf neue Wege der Selbstvermarktung angewiesen - umso mehr, je stärker das Prinzip des famous for being famous die Leistungs- oder Standesprominenz verdrängt. Dazu gehört auch, bei Solitary so lange wie möglich die Zunge an eine Glasscheibe zu pressen. Der Berliner Sänger Martin Kesici gab als erster auf und verließ die Show auf dem sechsten Platz. Ein paar zusätzliche Tickets für seine im nächsten Jahr geplante Tour dürfte er sich damit aber verdient haben.

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