"Slow Horses" auf Apple TV+:Junge Agenten im Karriere-Sumpf

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Wer im Slough House landet, ist ausgemustert und unbrauchbar für den Dienst: Jack Lowden, Christopher Chung, Olivia Cooke und Paul Higgins spielen die Figuren dieser Truppe. (Foto: Apple TV+)

In einer schäbigen Filiale des britischen MI5 warten ausgemusterte, unbrauchbare Geheimdienstler auf eine Chance. Und die kommt natürlich.

Von Fritz Göttler

Ein sehr sehr seltsames Spiel, das britische Spionagegeschäft. "Strange Game" heißt der Song, der über dem Vorspann von "Slow Horses" erklingt, und er setzt gleich den Ton der ganzen Serie: "Surrounded by losers, misfits and boozers ..." Verlierer, Außenseiter, Alkoholiker, der Sänger fühlt sich wohl in dieser Gemeinschaft und mit dem Motto, nach dem sie agiert: Wenn du einen Fehler machst, landest du auf dem Scheiterhaufen. Es ist Mick Jagger, der den Song selbst schrieb, gemeinsam mit Daniel Pemberton.

Losers und misfits, das ist die Truppe jugendlicher Agenten von Slough House, der schäbigen Filiale des MI5, des britischen Inlandsgeheimdiensts - ein düsteres Haus in London, weitab von der schmucken großen Zentrale in Regent's Park. Die Heizung dort "ist ein Energie verschwendendes, unbrauchbares Drecksding, aber andererseits ist dieses gesamte schäbige Bürogebäude - in der Nähe der Barbican-U-Bahn-Station, in der Aldersgate Street im Stadtteil Finsbury - auch nicht gerade für seine Effizienz bekannt, weder in puncto Ausstattung noch was das Personal angeht." Mit diesen Worten wird Slough House im Roman "Spook Street" von Mick Herron beschrieben, das ist der vierte Band um diese Truppe, der vor einem halben Jahr auf Deutsch veröffentlicht wurde. Der erste Band "Slow Horses" wurde nun bei Apple TV+ verfilmt, die weiteren sollen folgen.

Slough heißt auf Deutsch Sumpf. Die Kids hier erfüllen alle heutigen Forderungen nach Diversität - und sie sind alle ausgemustert, kaltgestellt, unbrauchbar für den Dienst, sie haben sich blamiert in ihren Einsätzen, haben Alkoholprobleme oder Traumata. Lahme Gäule, slow horses. Wenn sie nachts das Haus verlassen, nach Dienstschluss, man jeden in seine eigene selbstverschuldete Einsamkeit trotten sieht, das ist trostlos. Zu den Arbeiten, die hier aufgetragen sind, zählen das sinnlose Abschreiben von Verhören oder das Durchsuchen von Müllsäcken nach verdächtigen Hinweisen welcher Art auch immer. Die Kids träumen von der großen Bewährungschance, der Rückkehr nach Regent's Park. "Wissen Sie, wie viele je von Slough House wieder weggekommen sind?", fragt Kristin Scott Thomas, die Diana Taverner spielt, Chefin des MI5. Die Antwort: Keiner.

Jackson Lamb ist die Schmuddeligkeit in Person, hat zottelige Haare und furzt ungeniert und ausgiebig

Jackson Lamb, der Herr in Slough House, war einst ein beherzter, erfolgreicher Spitzenagent. Gary Oldman spielt ihn, der omnipräsent ist im Kino der letzten Jahrzehnte: Oldman tauchte bei Harry Potter auf und in der Batman-Trilogie um den Dark Knight oder als Francis Coppolas Dracula, und in der Le-Carrè Verfilmung "Dame, König, As, Spion" war er George Smiley, Inkarnation des so diskreten wie unerbittlichen Agenten. In dem Film "Die dunkelste Stunde" haben Oldman und Scott Thomas das Ehepaar Churchill gespielt. Sein neuer Charakter Jackson Lamb ist dagegen die Schmuddeligkeit in Person, hat zottelige Haare, furzt ungeniert und ausgiebig, hat Löcher in den Socken. Aber er ist immer noch ein Profi, und er ist unbedingt loyal. Er versteht und respektiert und liebt seine Kids. Slough House ist eine Familie. Die coole und unnahbare Diana Taverner teilt mit ihm die Verachtung für verklemmte und streberhafte Mittelmäßigkeit der meisten Agenten ihres Dienstes.

Die Schmuddeligkeit in Person: Gary Oldman in seiner Rolle als Jackson Lamb. (Foto: Apple TV+)

Die Jungen als Ausschuss der Gesellschaft, ihre Energie und Dynamik drohen zu verpuffen. Besonders traurig ist der Fall von River Cartwright (Jack Lowden), dessen Großvater war einst ein Star des MI5. Bis der Trupp dann plötzlich in einen brisanten Fall hineingezogen wird: Ein pakistanischer Student wird entführt von einer rechtsmilitanten Organisation, demonstrativ enthauptet vor einer Internetkamera - die faschistoide Kleinbürgerlichkeit dieser Gruppe ist beklemmend.

Der sarkastische Charme von Mick Herrons Erzählen fällt in der TV-Serie der Lust an der Action manchmal zum Opfer. Aber die Kreativität, die Poesie der Agenten-Profession dringt immer wieder durch. Es steckt ein unerschöpflicher Intrigenreichtum in diesem Geschäft, und sehr viel mehr als mit dem äußeren Feind muss man sich mit den konkurrierenden Gegenspielern im Innern beschäftigen. Strange Game!

Slow Horses, auf Apple TV+

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