Vintage-Fernsehen im NDR:Schwelgen auf die Eins und die Drei

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Der niederländische Showmaster Rudi Carrell und seine Tochter Annemieke Kesselaar, aufgenommen im November 1987. (Foto: Dieter Klar/picture-alliance / dpa)

"Unsere Väter" porträtiert die zehn größten Showmasterlegenden der alten Bundesrepublik - und sorgt mit den Erzählungen über Rudi Carrell, Peter Alexander für nostalgisches Seelenfutter.

Von Marlene Knobloch

Früher war manches besser. Und das schreibt jemand, der nicht viel von diesem "Früher" kennt - und damit auch Rudi Carrell, Dieter Thomas Heck und Hans Rosenthal nur durch Sendungen wie die, die jetzt der NDR zeigt: Am ersten Weihnachtsfeiertag erinnern sich in der Sendung Unsere Väter, die größten Showmaster Deutschlands die Kinder, Enkel und Frank Elstner an die Legenden der goldenen Fernseh-Ära der Bundesrepublik. Und präsentieren damit Kitsch in Bestform.

So eine Sendung, eine die Unsere Väter heißt, läuft gewiss Gefahr, zehn Männern, zehn Vätern, zehn Genies, in einem fernsehmedialen Vater-Unser die Sänfte im Patriarchen-Paradies zu bereiten, weiche Daunendecken über die Nachkriegszeit und Nazigeschichten zu legen und fröhlich auf die Eins und die Drei zu klatschen. Aber zum Glück macht sie es nicht so leicht. Sie blickt in die Familien, sie fragt die Töchter zu sexistischen Bemerkungen ihrer Väter, sie holt die Titelseiten der Klatschpresse über die Skandale Harald Juhnkes hervor. Und zeigt trotzdem, was heute im Fernsehen fehlt: die Showmaster. Die echten Entertainer. Und warum wir sie immer noch brauchen.

Durch die zehn Lebensgeschichten und Ausschnitte aus Dalli Dalli, Einer wird gewinnen, aus Musik ist Trumpf oder Verstehen Sie Spaß? führt Anke Engelke, die dann auch mal selbst mit geflochtenen Zöpfen und Milchzähnen im Kinderchor auf der Bühne steht, oder in senfgelber Bluse in den Zuschauerreihen sitzt.

Hans Rosenthal mit Ehefrau Traudl und Sohn Gert 1974 in seinem Berliner Haus beim Weihnachtsgans-Essen (Foto: Sammlung Richter/LB/picture alliance / Sammlung Rich)

Die Shows wirkten wie gesellschaftlicher Patafix. Eine Bühne, ein Showmaster, ein Publikum. Die Kartoffeln setzte man in Deutschland am ersten Weihnachtsfeiertag erst auf, wenn Margot Ebert und Heinz Quermann (diese Namen!) in ihrer Weihnachtshow dazu aufriefen. Die Samstagabende versprachen Kontinuität und Zuverlässigkeit wie Maggi-Würze. Es soll sogar Zuschauer gegeben haben, die sich durch die Mattscheibe von Peter Alexanders Begrüßung persönlich angesprochen fühlten. Aber was machte diese Abende so besonders und anders als heute?

Reinhold Messners Schock auf dem Matterhorn

Da ist der unschuldige, versöhnliche Humor: In einem Ausschnitt aus Verstehen Sie Spaß sieht man verzweifelte Menschen vor einer Softeismaschine. Die hört plötzlich nicht mehr auf, weiße Creme in die voller und voller werdenden Waffeln fließen zu lassen. Eine Frau schreit um Hilfe, als würde jemand ihr Leben bedrohen. So groß kann die Angst vor der ins Leere tropfenden Eismasse sein.

Oder Paola und Kurt Felix, die Reinhold Messner mit einem Kiosk auf dem Matterhorn überraschen, der entsetzt ist über die neuen Bergtrends. Oder die an sich simple, aber geniale Idee, einen Elefanten in einen Porzellanladen zu stellen.

Die Qualität der Sketche in den Sendungen hing von keinen Effekten ab, brauchte keine schnellen Schnitte, keine Soundeffekte, keine Musik. Es reichte, dass Peter Frankenfeld und Walter Giller einen Dialog nur mit Städtenamen führten und sich über ihre körperlichen Leiden von Sankt Gallen bis Leverkusen unterhielten.

Peter Frankenfeld mit seinem Sohn Thomas 1975 bei einem Rhein-Ausflug (Foto: picture-alliance /picture-alliance)

Die Kinder tauchten nicht selten plötzlich selbst in den Shows auf, und das erzählt auch viel über das Selbstverständnis der Moderatoren. Sie waren keine fernen Produkte ihrer Sender, sondern Menschen mit Familie, Schwächen und Fehlern. Einen Tag nach dem Tod seiner Mutter schrieb Rudi Carrell ein Lied über sie und sang es in seiner eigenen Sendung. Zu Peter Frankenfelds Beerdigung kamen mehr als 1000 Hamburger. Über Harald Juhnkes Alkohol-Eskapaden sprach die Presse im ganzen Land - wie auch er selbst. Dass auch ein Showmaster Eltern hat, sah man zuletzt bei Harald Schmidt, der sie mal mit Kamera im heimischen Nürtingen besuchte und im Musikantenstadl vorstellte mit den Worten "Ja, ich habe Eltern".

Der Humor brauchte keine Gegner

Wenn Böhmermann heute Trash-TV parodiert, Joko, Klaas und Palina Rojinski in irren Aktionen auf Sexismus aufmerksam machen und Ariane Alter in ihrer Late-Night-Show Pointen gegen die rassistische Polizei schmettert, hat das natürlich seine Legitimation, aber diesem Humor fehlt die Verspieltheit, die Wärme und auch die Präzision, die die Sketche von Rudi Carrell oder Peter Alexander leisteten. Die Blödeleien von Verstehen Sie Spaß, so aus der Zeit gefallen sie jetzt auch erscheinen, brauchten keinen Zynismus, keine Gegner und keine Schuldigen. Sie hatten Freude an der reinen Unterhaltung.

Gut, vielleicht hätte die Zeit mehr Zynismus vertragen, als im jungen Westdeutschland die Zuschauer mit frisch geföhnten Locken ehemalige SS-Männer wie Martin Jente, den kultigen Butler von Kulenkampff, beklatschten. Gleichzeitig feierte das gleiche Deutschland Dalli Dalli-Moderator Hans Rosenthal nicht viele Jahre, nachdem sich selbiger noch in Berlin versteckt hielt, um dem Tod im Konzentrationslager zu entgehen.

Früher war natürlich nicht alles besser, auch nicht im Fernsehen. Da haben die Frauen die Kartoffeln aufgesetzt, die Männer zu viel Schnaps getrunken und die Assistentinnen der Legenden waren stets weiblich. Gleichzeitig zeigt die Revue des NDR die Kunst einer Ära, die es so nicht mehr gibt. Nostalgie soll in Krisenzeiten helfen, das haben psychologische Studien rausgefunden. Und in Zeiten, mit der verglichen ein Durchschnitts-November aus dem Jahr 2019 zu Sternstunden einer Menschheitsepoche mutiert, darf man sich ein wenig zur Nostalgie hinreißen lassen. Denn manchmal ist manches alles.

Unsere Väter - die größten Showmaster Deutschlands. NDR, Freitag, 25. Dezember 2020, 20.15 und Samstag, 26. Dezember 2020, 10.15 Uhr

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