Wahlkampf-Show auf Sat 1:Herr Scholz, wovor haben Sie am meisten Angst?

Lesezeit: 3 min

Kannste Kanzleramt?: Olaf Scholz bemüht sich im Klassenraum auf Sat1 auf seine Art darum, locker zu wirken. (Foto: SAT.1/dpa)

In der Show "Kannste Kanzleramt?" mustern 16 kulleräugige Schüler die Kandidaten. Baerbock lebt die Grünen-Traumrolle der Klima-Lehrerin, Laschet ist der strenge Oberstudienrat, und Scholz nimmt die Schüler vielleicht etwas zu professionell.

TV-Kritik von Marlene Knobloch

Es ist Wahlkampf. Das merkt man nicht unbedingt an den polarisierenden Inhalten und Slogans, an denen der Bundesbürger im Herbstlicht vorbeieilt, als vielmehr am Fernseher, der zu Hause mit immer neuer Rezeptur die Zutaten Baerbock, Scholz und Laschet mischt: Illner, Will, Lanz, Duell, Triell, Klartext, Speed-Dating - jetzt also eine Schüler-Show. In der Sat1-Sendung "Kannste Kanzleramt?" waren die Kanzlerkandidaten für jeweils eine Stunde auf Klassenbesuch, um sich Fragen von Acht- bis 13-Jährigen zu stellen. Das Format wirkt nach Wochen der Tränensack-Runden auf Drehstühlen wie eines dieser extrem sauren Center Shock-Kaugummis nach einer langen Maiswaffel-Diät. Klar, der Geschmack (samt politischem Erkenntnisgewinn) ist schnell verflogen, dafür bleiben süß-saure Erinnerungen an gute Fragen und verkrampfte Gesangseinlagen.

Natürlich, alte Bühnen-Weisheit: Gegen Tiere und Kinder verlierst du immer. Das weiß Annalena Baerbock und streut erst mal eine Zuckerspur ("Ihr seid ja eine tolle Klasse"), als sie locker-leger im weißen Shirt dem leiernden Chor entgegentritt ("Gu-ten Mor-gen, Frau Baer-bock"). Da sitzt vor der Weltkarte eine, "die so 'ne Coole ist", eine Frau, "die nicht nur Schminki-Schminki" im Kopf hat, wie sie eine strahlende Schülerin charakterisiert. Auch die Sat1-Stimme im Vorstellungsfilmchen weiß euphorisch: Neben der Familie "rockt sie die Politik".

TV-Kritik zu Maischberger
:Schmerzpatient Scholz übersteht mit gekonnter Selbstnarkose

Der SPD-Kanzlerkandidat schleudert in Maischbergers Behandlungszimmer mit verwirrenden Relativsätzen um sich und CSU-Chef Söder zeigt sich als frommer Laschet-Apostel.

Von Marlene Knobloch

Wie sehr auch die Auswahl der Schüler auf Jugend-forscht-Debattierclub-Kinderschokolade-Covermodel gestriegelt war - die Unschuld konnte Sat1 trotzdem nicht aus den jungen Menschen rauscasten. Nichts kann entwaffnender sein als die ehrliche Reaktion von Kindern. Die wurde auch mal der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Verhängnis, als bei einem Bürgerdialog, ein libanesisches Mädchen in Tränen ausbrach, weil ihre Familie abgeschoben werden sollte.

"Wovor haben Sie am meisten Angst?", fragt eine Schülerin. Baerbock antwortet - wie auf fast alle Fragen - schnell und spontan. Am meisten fürchte sie sich davor, dass ihren Kindern etwas zustößt. Die Kanzlerkandidatin bewegt sich wie ein Fisch im Wasser zwischen Pult und Edding. Sie spielt ihre Traumrolle, die Grünen-Politikerin vor der Tafel, die ihre Vorstellung von Klimaneutralität vor neugierigen Kulleraugen skizzieren darf. Wie viel Zehennägelroll-Potenzial das Szenario aus Schlaues-Kind-trifft-unterwürfigen-Politiker auch hat, selbst als Baerbock am Ende der Stunde auf ihre Knie trommelt und "We will rock you" mit den Kindern singt, sieht das okay aus. Man kauft ihr den Spaß ab, den sie zu haben scheint.

Laschet beschwert sich über die Krakelschrift von Marie

Im Gegensatz zu Armin Laschet, der nach der Begrüßung zum Pult schreitet mit einem strengen "Sooo", als würde er gleich das Klassenbuch aufschlagen und den schludrigen Lukas mit der Vokabel-Abfrage malträtieren. Dabei moderieren eigentlich die Schüler die Sendung. Erst die Fragerunde. Laschet ruft die Schüler mit zusammengekniffenen Augen mit Hilfe der Namensschilder auf ("Was steht da?") und beschwert sich über die Krakelschrift von Marie, die wissen will, ob der konservative Karneval-Fan sich vorstellen könne, Vegetarier zu werden (natürlich nicht).

Lara fragt, worüber er damals gelacht habe im Hochwassergebiet während des Interviews von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. "Ach, das war ganz blöde", das sei, fügt Laschet anachronistisch zu Titelseiten und Twitter-Wolkenbrüchen an, nichts, was man "vertiefen" solle. Das Mädchen mit den zwei Zöpfen presst ob dieser Nichtantwort höflich die Lippen zusammen, lächelt, "Okay, Dankeschön". Ob er sich eine Koalition mit der SPD vorstellen kann? "Die will ich ja nicht so richtig", und es klingt, als habe ihn jemand gefragt, ob er jetzt eigentlich der Yasmin aus der 5b ein Backenbussi gibt, aber heimlich froh ist, dass er es am Ende doch nicht machen muss.

Olaf Scholz fertigt die Fragerunde angespannt wie auf einer Pressekonferenz ab, nickt den Schülern stumm zu, mal kommt ihm ein "Ja, da hinten" über die Lippen. Wovor er denn am meisten Angst habe? - "Hm?", antwortet Scholz irritiert. - "Wovor Sie am meisten Angst haben", hakt Marie auch etwas irritiert nach. "Ich habe Sorge", betont er, um allen Missverständnissen vorzubeugen, der künftige Kanzlerkandidat könnte vor irgendetwas in diesem Leben Angst haben, "dass es in der Welt nicht friedlich zugeht."

Und weil Scholz nun mal Scholz ist, und es keine Frage gibt, auf die sich nicht eine ausweichende Antwort findet, erklärt er Greta, die ihm kurz vorher ihr Wissen über Afghanistan demonstriert hat und wissen will, ob der schnelle Abzug der deutschen Truppen richtig gewesen sei, was das "World Trade Center" ist.

Gegen Ende taut aber selbst Scholz im warmen Blick der Kinderaugen auf, setzt sich vor die Schüler, nimmt die Hände aus der Hosentasche und erzählt, dass er Schlümpfe geschenkt bekomme, seit Markus Söder sich zur "schlumpfigen" Mimik des SPD-Kandidaten geäußert hatte. Über solche Kommentare könne er lachen. Dann hält er seine Laufschuhe hoch, die er mitgebracht hat: Erst mit 40 habe er mit dem Sport begonnen. Und schließt mit der Moral: "Es geht immer noch, dass man was Neues tut."

Eine Weisheit, die sich problemlos auf Wahlkampfsendungen übertragen lässt.

Marlene Knobloch ist streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop. (Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

TV-Kritik
:Söder gibt den Saubermann

Sein Auftritt bei Lanz ist für den CSU-Chef sehr praktisch: Ständig reproduziert der Moderator seine Kritik am Kanzlerkandidaten Laschet - und er selbst kann dann beschwichtigen und sich als treuen Gefolgsmann präsentieren. Es sind vertauschte Rollen.

Von Nico Fried

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: