RTL-Dreiteiler:Neuer Winnetou mit erotischer Präsenz

Lesezeit: 4 min

Regisseur Philipp Stölzl versucht, die Saga von Winnetou und Old Shatterhand neu zu beschwören. Es gelingt ihm, weil er seine Geschichte einigermaßen glaubhaft ins Amerika des 19. Jahrhunderts einbringt.

Von Harald Eggebrecht

Um es gleich vorweg zu sagen: Nik Xhelilaj aus Albanien ist ein wirklich attraktiver Märchenindianer mit nicht nur makellosem Körper, er erfüllt seinen Winnetou auch wohltuend mit Witz, Charme und Aura.

Selbst diejenigen, die nur Pierre Brice für den einzig wahren Apachenhäuptling halten, werden angenehm überrascht sein von der Frische und erotischen Präsenz dieses neuen Winnetou. Das gilt vor allem für den ersten Teil "Eine neue Welt", der Regisseur Philipp Stölzl und seinem Drehbuchteam zweifellos am besten gelungen ist. Es ist der Film geworden, der am stärksten an die literarische Vorlage von Karl May erinnert.

SZ Plus"Winnetou" auf RTL
:Hoffen auf den Häuptling

Philipp Stölzl hat die Geschichte von Winnetou für RTL in einem Dreiteiler neu verfilmt. Ein Gespräch über die Besetzungen, Filmbudgets und Pierre Brice.

Von Marc Hairapetian

Womit wir beim Grundproblem jeder Verfilmung sind: Wie weit muss man den Romanstoff verwandeln, wie weit darf man sich davon entfernen, damit es ein stimmiger Film wird? Oder reicht es, Spurenelemente des Romans aufzunehmen, um nun unbeschwert "neu" zu erzählen?

Die Differenz zwischen literarischem Werk und Film lässt sich schon bei Heinrich Manns Professor Unrat und Josef von Sternbergs Der blaue Engel feststellen. Mann hatte eine bissige Gesellschaftssatire geschrieben, Sternbergs Film wird zum großen Melodram eines sich ins Unglück stürzenden Kleinbürgers.

Während das Buch heute kaum mehr Resonanz hat, bedeutet Der blaue Engel die Geburt des Weltstars Marlene Dietrich und funktioniert weiter glänzend.

In den alltagsmythischen Figuren Karl Mays liegt eine große Kraft

Oder man denke an die James-Bond-Filme, die mit Ian Flemings Romanen außer der Zentralfigur kaum mehr etwas zu tun haben. In den Filmen aber wird James Bond mit jedem Darstellerwechsel so gut wie neu erfunden für die jeweilige Zeit.

In alltagsmythischen Figuren, wie sie Karl May erfand, liegt eine Kraft, die weit über die literarischen Konzepte hinausreichen kann, wenn man es versteht, die etwa in Winnetou und Old Shatterhand schlummernden Energien auch jenseits der Mayschen Vorlagen zu wecken.

Schon die Winnetou-Filme der Sechzigerjahre gingen mit den Quellen alles andere als achtsam um. Heraus kamen, abgesehen vom edelsten aller Wilden, Pierre Brice, und Bildern von schönen Landschaften in Kroatien ein schwer verdauliches Pathos und wahrlich holzgeschnitzte Schauspielerei.

Lex Barker, einst der romantischste aller Tarzans, wirkte als Old Shatterhand wie ein übergroßes Amerikanerstandbild im deutschen Schrebergarten-Wildwest. Die gewollte Komik der Nebenrollen kam selten über peinliche Lächerlichkeit hinaus.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Trotzdem haben diese damals von Karl-May-Puristen kritisierten, rund fünfzig Jahre alten Filme Kultstatus erreicht und eine eigene Fangemeinde hervorgebracht.

Buchstabentreue Verfilmungen können nicht gelingen, sie ergeben keinen Sinn, weil die Fantasiebilder, die Literatur im Kopf des Lesers erzeugt, immer mit der Realität von Filmbildern kollidieren.

Strenge Karl-Mayaner werden auch die neuen Winnetou-Filme des Privatsenders RTL verwerfen, Beschwerden und Streit um Namensrechte gab es jedenfalls schon, da war noch gar nicht gedreht. Liebhaber der Pierre-Brice-Filme werden sich wohl mit Grausen abwenden, weil hier alles fehlt, was sie verklären könnten. Stölzls Ansatz ist allerdings ernster zu nehmen als die Ansichtskartenbildfolgen eines Harald Reinl, des Regisseurs der Pierre-Brice-Filme. Stölzl siedelt seine Geschichte um Winnetou und Karl Mays Alter Ego Old Shatterhand ziemlich glaubhaft im Amerika der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts an. Die alten Filme bewegten sich dagegen in einem historisch kaum definierten Irgendwo und -wann.

Bei RTL ist Old Shatterhand zuerst der Einwanderer Karl May aus Sachsen, der mit naiver Pionierfreude sich "wie Kolumbus" fühlt, wenn er als Landvermesser die Eisenbahnlinie in unbekanntes Terrain vortreiben darf.

Deutscher Ingenieur als Saboteur

Winnetou taucht als wilder Krieger auf, der skalpiert und nichts von Bleichgesichtern hält. Der Eisenbahnbau ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern brutales Geschäft, bei dem die Apachen nur stören und ausgeschaltet werden müssen. Der idealistische May wird grausam mit einer Realität konfrontiert, in der Korruption, Verrat und Mord alltäglich sind.

In späteren Zeiten gäben diese Gewalttaten nurmehr eine paar tolle Geschichten her, sagt Eisenbahnchef Bancroft zum protestierenden deutschen Ingenieur. Der muss erleben, wie die Apachen betrogen und niedergeschossen werden, nachdem er Winnetous Vater zum Verhandeln mit der Bahn überredet hat. Er rettet Winnetou und kämpft nun als Saboteur auf Seiten der Indianer mit.

Im zweiten Teil zeigen mexikanische Desperados auf der Suche nach dem Schatz im Silbersee nur mörderische Gier nach Gold, so, wie jene Konquistadoren, die einst die indianischen Reiche Mittelamerikas zerstörten, die Bevölkerungen versklavten oder gleich niedermetzelten.

Old Shatterhand und der durch den Freund inzwischen veredelte, man könnte sagen: gezähmte Winnetou sind den rücksichtslosen Tätern ausgeliefert. Sie erleben Demütigung, Sklavendienst und Todesdrohung. Erst im letzten Moment . . .

Im dritten Teil "Der letzte Kampf", der bis auf Winnetous Tod kaum mit Mays Romanen zu tun hat, lockt ein versehentlicher Ölfund auf jener Farm, auf der Old Shatterhand mit seiner großen Liebe Nscho-Tschi lebt, einen vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckenden Glücksritter und seine Bande an.

Dass Regisseur Stölzl die Indianerin Nscho-Tschi, die bei May schon früh erschossen wird, als starke Frau für alle drei Teile einführt, verlagert die Beziehungsgewichte empfindlich. Plötzlich stehen nicht mehr die Männerfreunde für das freie Abenteuer im Mittelpunkt, sondern Old Shatterhand wird häuslich und will im Kreise der Apachen leben und lieben.

Im insgesamt schwächeren zweiten und auch im letzten Teil wird Nscho-Tschi zum Zentrum, während die Helden mehr als Getriebene und Verfolgte handeln.

Wotan Wilke Möhring ist gut als Shatterhand, solange er den deutschen Einwanderer gibt, da passt alles, Gesicht, Gestik, auch der berühmte Faustschlag. Im dritten Teil, dessen Handlung stark an Filme wie Der Mann, den sie Pferd nannten, Der mit dem Wolf tanzt und an das Ölepos There will be Blood erinnert, misslingt Möhring die Verwandlung in den Trapper. Er ist halt kein Kevin Costner.

Die Mexikanerin Iazua Larios spielt Nscho-Tschi so vielschichtig, dass sie positiv überrascht. Jürgen Vogel gibt als Rattler in Teil eins dem Affen als sadistischer Schlagetot zu viel Zucker, doch es braucht ein finsteres Gegenbild zum Menschenfreund May. Michael Maertens brilliert im dritten Teil als elegant verkommener Santer Junior. Milan Peschels Sam Hawkens ist in allen Teilen ein sympathisch gerissener Sidekick. Die vertrauten Gesichter von Gojko Mitić als Winnetous Vater und von Mario Adorf als schurkischer Santer Senior geben souverän dem Ganzen einen Hauch nostalgischer Tiefe. Die kroatischen Landschaften wirken echt amerikanisch, Heiko Mailes musikalisch raffinierter Umgang mit den berühmten Martin-Böttcher-Motiven gelingt suggestiv.

Ein paar Schwächen gibt es auch, Silberbüchse und Henrystutzen sind hier nur Accessoires ohne Magie. Der verrückte Bandit El Mas Loco, gespielt von Fahri Yardim, bleibt so blass, wie die ganze zweite Folge zu einschichtig geraten ist.

Wenn schon Indianisch gesprochen werden soll, wäre eine Apachen-Sprache angesagt, hier spricht man wie die viel weiter nördlich lebenden Lakota-Indianer. Für den Exotikeffekt hätte es eine Fantasiesprache getan.

Insgesamt ist RTL ein unterhaltsam-anregendes Unternehmen mit vielen Bezügen zur Aktualität unserer Tage gelungen, das der Sender nun mit unzähligen Werbeunterbrechungen zerstückeln wird. Das zumindest musste Pierre Brice nicht erdulden; der schaffte es noch ins Kino.

Winnetou , RTL, am 25., 27., und 29. Dezember jeweils um 20.15 Uhr.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: