Hörspiele "Weltsendeschluss" und "Populist Radio":Die Vernichtung des Radios

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

In gleich zwei Hörstücken malt sich DLF Kultur das Ende des eigenen Mediums durch radikalen Missbrauch aus.

Von Stefan Fischer

Irgendwann platzen die Handwerker ins Studio. Und beginnen mit dessen Demontage. Ob das nicht Zeit habe bis nach der Übertragung? Es sei doch ohnehin die letzte Radiosendung der Geschichte. Das weltweite Übertragungsnetz werde in Kürze abgeschaltet, die Sendefrequenz gelöscht. Es sei, in wenigen Minuten, Weltsendeschluss. So nennt Felix Kubin seinen Abgesang auf den Hörfunk, pünktlich zu dessen 100. Geburtstag.

Das Programm werde auf ein neues, vertikales Sendeschema umgestellt: immer mehr vom Gleichen. Das ist, in letzter Konsequenz, nur noch ein stets Fiepen oder Rauschen. In Weltsendeschluss klingt es schon einmal an, in verschiedenen Frequenzbereichen. "Keine Welle weit und breit. Im Äther herrscht die Einsamkeit", dieser kleine, plumpe Reim ist offenbar das Letzte und schon nicht mehr Geistvolle, was die Literaturredaktion noch zustande bringt im Angesichts des eigenen Endes. Daneben: ein letzter Seewetterbericht. Der Chor des Senders jubiliert noch ein Mal, Sprecher und Stationen verabschieden sich, je nach emotionaler Verfassung wütend, abgestumpft, empathisch oder dienstbeflissen. "Behalten Sie Ihren guten Geschmack", rät Marcus Gammel, der Abteilungsleiter Radiokunst bei Deutschlandfunk Kultur, der diese Produktion in Auftrag gegeben hat. Aber woran soll man ihn künftig schulen?

Bei Kubin implodiert das Radio, bei Giannotti explodiert es

Felix Kubin treibt in seinem Klangkunststück das Radio in die Selbstaufgabe, das kann man als Satire hören, aber auch als Dystopie. "Alle sind abgehauen ans Ende der Welt, die sich selbst synchronisiert und formatiert." Trotzdem, auch wenn wahrscheinlich niemand mehr zuhört: Ohne Hymne am Ende geht es nicht zum Sendeschluss. Aber selbst die Nationalhymnen unterliegen Fliehkräften.

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Ein zweites Hörstück, am selben späten Abend auf DLF Kultur ausgestrahlt, in dem das Radio einem fatalen Ende entgegensendet: Populist Radio von Stefano Giannotti. "Habt ihr das ernst genommen?", fragt ziemlich zum Schluss ein Moderator, nachdem dem Publikum beinahe eine Stunde lang barer Unsinn erzählt worden ist. Das ist natürlich die billigste und zugleich gefährlichste aller Ausreden: Erst die Leute aufhetzen, Stimmung machen, Unwahrheiten verbreiten - und dann behaupten: Selbst Schuld, wenn ihr das glaubt. Während Kubin das Radio immer leiser dreht, stellt Giannotti es immer lauter. Nicht nur wenn es verstummt, sondern auch wenn es besonders laut plärrt und durcheinanderschreit, versteht man irgendwann nichts mehr.

Jedenfalls keine Zusammenhänge. Denn die gibt es nicht mehr. Nur noch Behauptungen - je überspitzter, unseriöser und absurder, desto besser. Angeprangert wird zum Beispiel eine politische Partei, wegen ihres Finanzgebarens: die Partei der extremen Mitte. Wenn es eine extreme Rechte und eine extreme Linke gibt, dann ja wohl auch eine extreme Mitte. Sagt der Moderator und frisst bei offenem Mikrofon weiter Chips in sich hinein. "Habt ihr Spaß?", will er wissen. Denn um etwas anderes geht es schon lange nicht mehr.

Weltsendeschluss , DLF Kultur, 5. Oktober 2023, 22.03 Uhr.

Populist Radio , DLF Kultur, 6. Oktober 2023, 0.05 Uhr.

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