"Spiegel Online" lobt Martin Schulz für seine Entscheidung, sich zurückzuziehen:
"Martin Schulz, der glücklose Noch-SPD-Chef wäre für das Außenamt sicherlich auch geeignet gewesen. Aus vielerlei Gründen ist sein Rückzug trotzdem richtig. Es war einfach niemandem vermittelbar, warum jemand, der erst beteuert, nicht in ein Kabinett unter Merkel einzutreten, dann doch nichts Besseres zu tun hat, als bei erstbester Gelegenheit nach dem schönen Amt des Außenministers zu greifen. Das hat wohl nach zwei Tagen des Aufruhrs an der Basis der SPD auch Schulz erkannt, seine Personalie wäre zur zusätzlichen Belastung für den Mitgliederentscheid geworden. Mit seinem Rückzug hat er der SPD einen letzten Dienst erwiesen. Es ist besser so."
Auch die "Stuttgarter Zeitung" begrüßt Schulz' Rücktritt, hält ihn allerdings für verspätet:
"Späte Einsicht ist allemal besser als keine - im Falle Schulz kommt sie allerdings zu spät, um einen Rest an politischem Respekt zu wahren. Der vermeintliche Heilsbringer und gewesene "Gottkanzler" hat sich binnen weniger Monate selbst demontiert. Das begann mit seinen fatalen Fehlern im Wahlkampf, der völlig unpolitischen Hysterie, mit der er die SPD am Wahlabend auf eine Oppositionsrolle festlegen wollte. Das Drama gipfelte in regelrechter Realitätsblindheit, worauf sein postenversessenes Anspruchsdenken schließen lässt."
SPD:"Und dann gehst du, Kevin, in Rente"
Juso-Chef Kevin Kühnert wirbt in Leipzig erneut für seine Kampagne zur Ablehnung der Groko und erhält viel Zuspruch. Es melden sich aber auch Genossen zu Wort, die an den Sturz Helmut Schmidts erinnern.
Für die "Berliner Zeitung" ist die politische Karriere von Martin Schulz in Deutschland beendet:
"Aus dem Weg räumen konnte Sigmar Gabriel Martin Schulz. Ob das bedeutet, dass Gabriel Außenminister bleibt, werden wir in den nächsten Stunden, Tagen erfahren. Die designierte Parteichefin ist Andrea Nahles. Davon wird man sie auch nicht mehr wegkriegen. Schulz wird in der Versenkung verschwinden. Nicht einmal die Friedrich-Ebert-Stiftung wird ihm noch zur Verfügung stehen."
Das "Handelsblatt" sieht einen Fehler darin, dass die SPD Schulz nicht schon früher zum Rücktritt gezwungen hat:
"Die neue SPD-Spitze um Andrea Nahles und Olaf Scholz muss sich vorwerfen lassen, das Treiben nicht früher beendet zu haben. Am Ende geht für die SPD zwar wohl erstmal alles gut aus. Mit Nahles und Scholz hat sie ihre neue Wunsch-Führung, und durch Schulz' Rückzug ist ein Ja im Mitgliederentscheid wahrscheinlich. Aber in der Öffentlichkeit wird das Bild vom Postengeschacher in der SPD vorerst haften bleiben, die Politikverdrossenheit droht weiter zuzunehmen. Nahles und Scholz hätten das verhindern können - wenn sie nur früher skrupellos gewesen wären."
"Zeit Online" interpretiert Schulz' Rücktritt als symptomatisch für den Zustand seiner Partei, die tief verunsichert sei:
"Und so rückt die SPD immer dichter an den Abgrund. Denn mit dem Putsch im engsten Führungskreis zerbröselt vielleicht das wichtigste Argument, mit dem die Groko-Befürworter die mürrische Parteibasis überzeugen wollten: die Stabilität. Ein Nein zur großen Koalition bedeute, so hieß es, Neuwahlen, Führungswechsel, kurz: Chaos. Nun hat die Parteiführung das Chaos, das sie verhindern wollte, selbst besorgt. Und so ist sich derzeit niemand mehr sicher, wie die Mitglieder der Partei entscheiden, wenn sie in einigen Wochen mit dem Koalitionsvertrag auch über den politischen Stil ihrer Führung abstimmen."
Die "Rheinische Post" bewertet die Rolle Sigmar Gabriels im Streit um das Außenamt kritisch:
"Sigmar Gabriel wird nun sein geliebtes Außenamt, in dem er einen guten Job machte, wohl behalten dürfen. Trotzdem muss sich der Mann fragen, ob seine öffentliche Abrechnung mit Schulz richtig war. In seiner klugen Rede auf dem Parteitag in Dresden, bei der Gabriel das Amt übernommen hatte, rüttelte er die gedemütigten Genossen auf. Er skizzierte das Bild einer Bürgerpartei, die zuhört, mitten im Leben steht, ihre theorielastige Weltverbesserungsattitüde abschüttelt. Alles richtig. Aber Gabriel forderte damals mit viel Pathos seine Genossen auf, die "unversöhnliche Härte", mit der interne Debatten geführt werden, endlich sein zu lassen. Außerhalb der SPD interessiere sich keiner für Personaldebatten oder Parteiflügel, dozierte Gabriel. Die Menschen hätten aber ein Gespür dafür, "ob wir das, was wir über eine tolerante, weltoffene und solidarische Gesellschaft erzählen, auch selbst vorleben." Nun hat Gabriel selbst diese Solidarität aufgekündigt und in der blinden Wut gegen Schulz sogar seine Tochter ins Spiel gebracht."
Auch die "taz" kritisiert Sigmar Gabriel und sorgt sich gleichzeitig um die deutsche Außenpolitik:
"Den letzten Stoß dürfte Martin Schulz sein Scheinfreund und letztlich erbitterster Gegner Sigmar Gabriel versetzt haben. Als klar wurde, dass Schulz ihn im Amt des Außenministers beerben würde, beschädigte Gabriel ihn auf so nahetretende und unterirdische Weise, dass jedem klar war: Dieser Egozentriker wollte um keinen Preis alleine stürzen. Das hat Gabriel erreicht. Und ironischerweise könnte sein Verrat später einmal zu einer Heldengeschichte mutieren. Ernsthaft sorgen muss man sich nun um die außenpolitische Stellung Deutschlands. Ein Staat, dessen politische Vertreter sich wie in einer Bananenrepublik gegenseitig ins Aus kegeln, wird zur Lachnummer auf dem internationalen Parkett. Der Rechtsdrall in Europa, die globalen Fluchtbewegungen, der anschwellende Bocksgesang zwischen den Supermächten - man kann die außenpolitischen Schwelbrände förmlich riechen. Wen hat die SPD, wen hat diese Große Koalition zu bieten, der oder die sich all diesen Themen sowohl respektvoll als auch versiert annimmt? Wie gesagt: Ein Drama ersten Ranges."
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" analysiert die Rolle Andrea Nahles' und wagt einen Blick in die Zukunft der SPD:
"Andrea Nahles wäre die Einzige gewesen, die Schulz in dieser Situation noch hätte halten können. Aber warum sollte sie das tun? Auf die Gefahr hin, den Mitgliederentscheid in den Sand zu setzen? Auf deren Erfolg im Sinne der führungslosen SPD-Führung muss jetzt alles ausgerichtet werden. Denn eine Niederlage wäre eine politische Katastrophe. Die Partei würde vollends in die Zeit vor dem Godesberger Programm zurückfallen, in dem sich der Sozialismus mit der Wirklichkeit anfreundete. Manches Mitglied wird sich in dieser Situation beileibe nicht nach Kevin Kühnert, sondern nach Sigmar Gabriel sehnen - auch das gehört zum Sarkasmus, den die Partei jetzt ertragen muss. Denn Gabriel konnte führen, wenn auch nicht gewinnen. Wird Nahles auf ihn zurückkommen? Wenn sie es nicht tut, weil sie nicht in der Lage ist, einen Mann wie Gabriel einzuhegen, wäre das ein Zeichen dafür, dass sie von Angela Merkel gelernt hat."