"Plötzlich Krieg" bei ZDF Neo:Wenn's doch nur so einfach wäre

Lesezeit: 3 min

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Team Rot und Blau bei einem Experiment in der Showarena. (Foto: ZDF/Antje Dittmann)

Willkommen im "Dschungelcamp": ZDF Neo will die Kriege der Welt in einer experimentellen Doku erklären. Doch die Thesen geraten zu simpel.

Von Hannah Beitzer

Arschlöcher. Das Wort fällt das erste Mal an Tag drei. Arschlöcher sind die anderen, "bestimmt fett", "scheiße". So beschimpfen sich Menschen in der ZDF-Neo-Sendung Plötzlich Krieg - ein Experiment. Menschen, die nichts voneinander wissen, sich bislang noch nicht einmal Auge in Auge gegenüber standen.

Was sie aber haben, ist ein Gefühl: Wir sind die Guten. Die sind die Bösen. Die nehmen uns was weg. Mit diesem Dreisatz begründet Coach und Konflikttrainer Christopher Lesko, der Plötzlich Krieg mit ZDF Neo konzipiert hat, die Entstehung von Kriegen. Plötzlich Krieg ist bereits das dritte "Social Factual" bei ZDF Neo. In dem durchaus umstrittenen Format Die Flucht "flohen" Prominente durch Europa, in einem zweiten spürte der Sender in einem Experiment dem Rassist in uns nach. Die Sendungen richteten sich an Zuschauer, die Nachrichten oder klassische Dokus meiden. Denen soll nun Plötzlich Krieg erklären, wie es zu Konflikten wie dem in Syrien oder in der Ukraine kommen kann.

Die Sendung wurde über fünf Tage aufgezeichnet und beruht auf einem wissenschaftlichen Versuch aus den 50er-Jahren: dem Robbers-Cave-Experiment. Die Teilnehmer, die sich nicht kennen, teilt ZDF Neo in zwei Gruppen ein. Es gibt ein rotes und ein blaues Team, die sich in Wettkämpfen um Wasser oder Frühstück miteinander messen. Und die sich nach vier Tagen schließlich Kampfansagen à la "Rot ist tot!" schicken. Das alles beobachten und kommentieren Konfliktexperte Lesko und Moderator Jochen Schropp aus einer Schaltzentrale.

Zwei "Maulwürfe" in den jeweiligen Teams manipulieren die Teilnehmer außerdem nach den Anweisungen Leskos. Da gilt es den zweifelnden Pazifisten zum Kampf zu überreden oder das andere Team gewinnen zu lassen, um die Stimmung anzuheizen. Team Rot wird bei den ersten Spielen (ohne es zu wissen) benachteiligt. Mal ist der Hindernislauf ein bisschen schwieriger, mal ist der Boden auf ihrer Seite beim Kräftemessen rutschiger.

Ähnliche Szenen spielen sich bei einem Hallenturnier von Hobby-Fußballern ab

Umso ehrgeiziger werfen sich die Teilnehmer in die nächsten Spiele. Schon rempelt ein Mitglied des roten Teams eine kleine, drahtige Frau in Blau bei der Verteidigung von Wassertanks zur Seite. Während des letzten, alles entscheidenden Rugby-Spiels mit der bewusst eskalierenden Bezeichnung "Gemetzel", stößt eine Teilnehmerin einen Mann aus dem gegnerischen Team in die Bande. Am Schluss lautet das Fazit von Moderator Schropp, der eine seltsame Zwitterrolle als Gameshow-Host und staunendem Zuschauer einnimmt: "Ich finde es erschreckend, dass man Menschen, die sich noch nie vorher gesehen haben, so gegeneinander aufhetzen kann."

Aber ist es wirklich überraschend? Ähnliche Szenen spielen sich unter Umständen auch ab, wenn zwei einigermaßen ambitionierte Hobby-Fußballmannschaften um den Pokal im Hallenturnier kämpfen.

Außerdem erinnern die Konflikte der Sendung an jene, die der Zuschauer schon aus den einschlägigen Shows im Privatfernsehen kennt - von Dschungelcamp bis Big Brother. Nur, dass die Teilnehmer von Plötzlich Krieg keine C-Promis sind, die mit allen Mitteln nach Sendezeit gieren. Die Sendung ist daher wesentlich weniger schrill, aber auch weniger unterhaltsam als das Dschungelcamp.

Der Bogen vom entgleisten Rugby-Spiel zu den Kriegen der Gegenwart gelingt der Sendung schlussendlich nicht. Wir sind die Guten, die sind die Bösen, die nehmen uns was weg - der von Christopher Lesko eingeführte Dreiklang spielt in Konflikten natürlich eine große Rolle. Er umfasst eine Reihe menschlicher Regungen: das Streben nach Gruppenzugehörigkeit, das Bedürfnis nach Abgrenzung zu anderen Gruppen, das oft in Konkurrenzdenken und Neid gipfelt. Wie leicht daraus zwischenmenschliche Konflikte entstehen, zeigt Plötzlich Krieg sehr anschaulich.

Doch in den echten Kriegen spielen politische, weltanschauliche und geografische Besonderheiten eine Rolle, die selbst Experten Kopfzerbrechen bereiten. Gerade Zuschauern, die Nachrichten meiden, tut Konfliktexperte Lesko keinen Gefallen, wenn er immer wieder versichert: Das mit dem Krieg ist eigentlich total simpel, auch nicht anders als im Dschungelcamp.

Denn nein, Kriege sind nicht simpel. Ihre Dynamik in einem TV-Wettkampf umfassend und verständlich zu erklären: Dieses Experiment ist gescheitert.

Plötzlich Krieg - ein Experime nt , ZDF Neo, 27. und 28. Oktober, jeweils 21.45 Uhr.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: