Öffentlich-rechtlicher Rundfunk:Medienpolitik nach Bauchgefühl

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Florian Silbereisen beim "Adventsfest der 100 000 Lichter", coproduziert vom MDR, zu dessen Sendegebiet Sachsen-Anhalt gehört. Die Regierung dort verhindert eine Beitragserhöhung um monatlich 86 Cent. (Foto: Michael Reichel/picture alliance/dpa)

Die 86-Cent-Blockade passt ins Bild, das man von den Ländern kennt: Stagnation statt Reform. Einige Anmerkungen.

Kommentar von Claudia Tieschky

Anders als fünfzehn düpierte Ministerpräsidenten werden viele Menschen, die Fernsehen schauen, am Dienstag Genugtuung empfunden haben. Der Rundfunkbeitrag für ARD, ZDF und Deutschlandradio steigt wegen der Blockade des neuen Staatsvertrags durch Sachsen-Anhalt nicht wie geplant am 1. Januar um 86 Cent auf 18,36 Euro pro Monat. Wenn man zusammenfasst, was in vielen Leserbriefen steht oder was Leute sagen, die unzufrieden mit dem Programm der Öffentlich-Rechtlichen sind, dann dürfte die CDU in Magdeburg viele Herzchen bekommen. Sie hat mit ihrem Nein nicht nur die 86-Cent-Blockade bewirkt, sondern wegen der drohenden gemeinsamen Abstimmungslinie mit der AfD auch eine knackige Regierungskrise. An die Spannung beim Krach in Magdeburg reicht das Fernsehprogramm nicht immer heran.

Da ist also ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der im Falle der Erhöhung jährlich 9,6 Milliarden Euro zur Verfügung hat. Und der trotzdem - hier eine Auswahl häufiger Kritikpunkte - immer mehr Wiederholungen bringt, eine fast unüberschaubare Zahl von Sendern betreibt und zu wenig Kultur bietet, zu wenig Berichterstattung aus Ostdeutschland im bundesweiten Programm, viel respektlose Satire, der außerdem den Intendanten zu viel zahlt und armen Beitragszahlern zu wenig menschenfreundliche Lösungen bietet.

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An all diesen Kritikpunkten wird die Blockade von Magdeburg allerdings nichts ändern. Im Gegenteil. ARD, ZDF und Deutschlandradio werden die verweigerte Erhöhung mit guten Chancen beim Bundesverfassungsgericht einklagen: Es wird in den kommenden Monaten sehr viel und sehr laut über monatlich 86 Cent gestritten werden. Umso weniger Aufmerksamkeit dürfte bleiben für nötige Reformen eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dessen Auftrag es immer mehr ist, mit verlässlicher Information die Gesellschaft zusammen- und im Gespräch miteinander zu halten.

Medienpolitik ist kein Cent-Gewitter. So billig aber wird sie in den vergangenen Jahren von den Ländern gespielt. Die über weite Strecken irgendwie egale Befassung mit einer grundlegenden Rundfunkreform, anfallsweise durchbrochen von wähleraffinen Einlassungen zur Beitragshöhe, bietet fast ein Bild zum Fremdschämen.

Das Ausmaß der Stagnation lässt sich sogar genau vermessen: Bereits im Jahr 2010 gab es die erste "AG Beitragsstabilität", die damals unter Führung der sächsischen Staatskanzlei eine weitere Beitragssteigerung verhindern und grundlegende Reformen sondieren wollte. Seitdem ist strukturell nicht viel passiert (abgesehen von ein oder zwei eingestellten damals sogenannten "Digitalsendern" bei ARD und ZDF). Umso mehr Geldsparforderungen wurden an die Sender herangetragen. Tatsächlich haben die Öffentlich-Rechtlichen jedoch keinen großen Spielraum für strukturelle Veränderungen, die die Kosten dramatisch senken würden. Ihre vielen Sender stehen allesamt mit Aufgabenbeschreibung in den Rundfunkgesetzen. Selbst wenn sie wollten, könnten die Intendantinnen und Intendanten nicht einfach ein Programm sein lassen, zu dem sie gesetzlich verpflichtet sind. Die Entscheidung, was davon entbehrlich ist, ist Sache der Länder, ihrer gemeinsamen Rundfunkkommission und der Ministerpräsidenten. Man kann es nicht anders sagen: Sie drücken sich seit Jahren davor. Standortinteressen spielen dabei keine geringe Rolle. Zusammen mit den hohen Pensionslasten, auf die die Sender rückwirkend kaum Einfluss haben, führt der gleichbleibende Auftrag unter Spardruck zu Schrumpfungen, also zum Beispiel zu mehr Wiederholungen.

Der nichtssagende Begriff Beitragsstabilität bietet keine Lösung für mangelnde Gestaltungskraft

Auf den offenkundigen Befund, dass viele Zuschauer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr so viel zahlen wollen, reagieren die Länder nicht etwa mit der Gestaltungskraft, die ihnen verfassungsmäßig zur Verfügung steht. Dass der nichtssagende, weil unterschiedlich auszulegende Begriff Beitragsstabilität (absolut? inflationsbereinigt?) dafür keine Lösung bietet, zeigt das Chaos in Magdeburg recht eindrücklich. Dort steht "Beitragsstabilität" in der Koalitionsvereinbarung, ohne dass man sich die Mühe gemacht hätte, die erkennbar unterschiedliche Auffassung darüber beispielsweise bei CDU und Grünen einmal ernst zu nehmen. So scheitert nun der Staatsvertrag, aber überrascht kann darüber keiner sein. Besonders bitter dürfte das für Karola Wille sein, die Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks, zu dessen Sendegebiet Sachsen-Anhalt gehört. Im MDR hat man die Legitimationskrise der Öffentlich-Rechtlichen erkannt, arbeitet an schlankeren Abläufen, höherer Akzeptanz und sucht die Nähe zu kritischen Zuschauern.

Die Neinsager von Magdeburg waren auf der Höhe ihres Erfolgs exakt in dem Moment, bevor sie den Beitrag platzen ließen. Sie hatten bei ARD und ZDF das Bewusstsein dafür geschärft, dass sich ostdeutsche Zuschauer im bundesweiten Programm zu oft nicht wiederfinden. Die Tagesschau bringt nicht zuletzt deshalb jetzt täglich regionale Beiträge.

Paradoxerweise fällt Sachsen-Anhalt aber nun ausgerechnet derjenigen Instanz in den Rücken, die im Entscheidungsvakuum der Länder eine Garantie für Sparsamkeit ist. Die mit Sachverständigen besetzte Finanzkommission KEF hat die Beitragserhöhung als angemessen erachtet und empfohlen. Die KEF ist kompliziert, aber effizient. Sie ist die Hüterin der Sparsamkeit im Rundfunk und prüft rein wirtschaftlich, ohne inhaltlich einzugreifen. Würden die Sender so viel bekommen, wie sie wollten, das hat die KEF auch errechnet, müsste der Beitrag um 1,74 Euro steigen. Stattdessen wären es jetzt nur 86 Cent.

Wodurch CDU, SPD und Grüne in Magdeburg - die Koalition zieht das ja zusammen durch - die Rotstifte-Argumente der KEF ersetzen wollen? Der Eindruck der vergangenen Wochen lässt befürchten: durch Bauchgefühl, bei dem es mal um Corona, mal um falsche Satire geht und mal um irgendwas im Fernsehen, das jemandem nicht gefällt. Das Gefühl sitzt mal eher mittig, mal mehr rechts im Bauch und zielt zuweilen recht konkret auf die Rundfunkfreiheit. Vor allem aber: Mit der Blockade fügt sich Sachsen-Anhalt ins gewohnte Bild von Medienpolitik als gestaltungsfreier Stagnation. Die nützt dem Zuschauer nur leider gar nichts.

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