"Nisman - Tod eines Staatsanwalts":Warum musste Nisman sterben?

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Der argentinischen Sonderermittler Alberto Nisman war beauftragt, ein fürchterliches Rätsel zu lösen. 2015 wurde er tot aufgefunden. Ein ausgezeichneter Dokuthriller leuchtet den spektakulären Fall nun aus.

Von Peter Burghardt

Am Anfang dieses vollkommen realen Politthrillers fliegt die Kamera über ein glitzerndes Häusermeer auf den Tatort zu. Buenos Aires, Argentinien, 18. Januar 2015. Ein Hochhaus in der Dämmerung, Hochsommer im Süden. Vor einer Tür liegen Zeitungen, auf einem Tisch Akten und Papiere mit gelb markierten Textstellen. Im Bad liegt der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman in seinem Blut, aber das sieht man erst etwas später. Dafür ist gleich der Notruf seiner Mutter zu hören, ein Mitschnitt. "Guten Abend, ich brauche dringend einen Krankenwagen" - "Was ist passiert?" - "Mein Sohn. Ich bin bei ihm zuhause. Er ist tot."

So beginnt nun fünf Jahre danach der Vorspann zur sechsteiligen Doku Nisman - Tod eines Staatsanwalts des britischen Emmypreisträgers Justin Webster auf ZDFinfo, mitproduziert vom deutschen Grimmepreisträger Christian Beetz. In Kooperation des Senders mit Netflix wird da ein Fall aufgerollt, der bis heute nicht geklärt ist. War es Mord? Oder Selbstmord? Sechs Folgen widmen sich der Frage, jede dauert ungefähr eine Stunde lang. Zu viel? Nein, denn es geht sogar um zwei Fälle, die um die Welt gingen. Im 13. Stock der Wohnanlage Le Parc im Luxusviertel Puerto Madero starb damals nicht irgendein Jurist. Es war der Mann, der ein anderes fürchterliches Rätsel lösen sollte und dabei die argentinische Präsidentin anklagte.

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85 Menschen wurden getötet, Hunderte verletzt, als am 18. Juli 1994 eine Bombe das jüdische Gemeindezentrum Amia in der argentinischen Hauptstadt zerfetzte. Auch die Trümmer dort, das Chaos und das Entsetzen sind in den ersten Minuten zu sehen, Sirenen schrillen, alles Originalaufnahmen. Als Drahtzieher des Terrors galten seinerzeit Hisbollah und der Iran, obwohl ein Vierteljahrhundert danach so gut wie nichts bewiesen ist. Der Sonderermittler Nisman stammt selbst aus einer jüdischen Familie, er war seit Jahren mit dem Fall Amia beschäftigt. Zuletzt hatte er der Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner und ihrem Außenminister Héctor Timerman vorgeworfen, Teheran zu decken, damit Argentinien mit dem Iran ins Geschäft kommt. Tatsächlich hatten sich beide Regierungen in der Ära Kirchner darauf verständigt, den Anschlag gemeinsam aufzuklären, doch dieses Memorandum trat nie in Kraft. Auch strich Interpol die Haftbefehle gegen führende Iraner nicht.

Der Film wirft Licht ins Gestrüpp von Intrigen und Verschwörung, besser als die Justiz

Warum musste Alberto Nisman sterben, mit 51, kurz vor dem wichtigsten Moment seiner Karriere? Tags darauf sollte er seine eingereichte Anklage vor dem argentinischen Parlament erläutern. Vier Tage vorher saß er im Fernsehstudio, gerade zurück von einer Europareise mit der Tochter. Jetzt, an jenem Sonntag, lag er neben seiner Badewanne, eine Kugel im Kopf.

Mord oder Suizid? Wer hatte geschossen? Nisman selbst, weil er verzweifelt war? Ein anderer, der ihn beseitigen wollte? Oder führte ihm jemand die Waffe? Darüber wird gestritten, die Lager teilen sich grob gesagt in Freund und Feind von Frau Kirchner auf. Die Filmemacher ahnten, worauf sie sich einließen. Aber Webster nimmt sich Zeit. Er wirft in sechs Stunden Licht in das Gestrüpp von Intrigen und Verschwörung, besser als die Justiz. Anders als Deutschlands Einschlafkrimis braucht dieses Drama auch keinerlei Erfindung. Dies sei "ein neues non-fiktionales serielles Erzählen", heißt es in der Ankündigung.

Kein Kommentar aus dem Off, kein Urteil des Autors, nur Nismans letzte Schreibarbeit wird vereinzelt nachgestellt. Ansonsten nutzt Webster ausschließlich eigene Bilder, viele selbstgeführte Interviews und Szenen aus Archiven, darunter von Strafbehörden. Er verbindet sie zu einem Potpourri, das zuweilen verwirrend sein mag, aber Schicht für Schicht abträgt. Immer neue Merkwürdigkeiten tauchen auf, darunter Nismans Auslandskonten. Die Schlüsse überlässt der Regisseur dem Publikum.

Als einigermaßen unstrittig gilt, dass die blutverschmierte Pistole der Marke Bersa unter einer Schulter des Toten gefunden wurde und dass sie seinem IT-Experten Diego Lagomarsino gehörte. Der versichert auch Justin Webster, er habe sie Nisman auf dessen Wunsch hin geliehen, Nisman habe Angst gehabt. Sequenzen von Überwachungskameras zeigen, wie der Techniker kommt und geht. Nismans Wohnungstür soll von innen verschlossen gewesen sein, ehe Mutter, Leibwächter und Polizei ihn fanden. Die Badtür musste aufgedrückt werden, weil die Leiche sie drinnen blockierte. Kein Hinweis auf Fremdeinwirkung, keine Spur. Das alles und all die Zweifel leuchtet Webster aus.

Die Kamera schwebt mal über die Straßen, als brauche die Betrachtung Abstand. Mal zeigt sie Details, TV-Auftritte Nismans und vor allem Websters Gespräche. Antworten und Gesichter, minutenlang. Zu den Stärken der Produktion gehört es, dass Webster nicht nur eine Menge Material auswertet, sondern etliche Protagonisten über vier Jahre hinweg mehrfach traf.

Er spricht sogar mit mysteriösen Spionen. Hatten sie Nisman in ein Dickicht getrieben? Da wäre vorneweg ein argentinischer Schattenmann namens Jaime Stiuso, der schon in Zeiten der mörderischen Militärjunta im Einsatz war, eine Figur mit diabolischem Grinsen. Webster befragt Geheimdienstler von CIA und FBI. Er begleitet den Verfall des Zeugen, Beschuldigten und früheren Außenminister Timerman, der 2016 im Gefängnis einem Tumor erlag. Der Todkranke sagt den Satz, dass das einzige, was in dieser Sache, also der um Nisman und die Amia, vorankomme, sein Krebs sei. Webster unterhält sich mehrfach mit Luis Moreno Ocampo, ehemals UN-Chefankläger. Und er lässt die heute pensionierte Staatsanwältin Viviana Fein reden. Mancher nahm die ältere Dame nicht für voll, doch sie gewinnt im Film an Statur. Auch, weil sie ein ums andere Mal auf fehlende Beweise aufmerksam macht.

Cristina Fernández de Kirchner, unterdessen Argentiniens Vizepräsidentin, sprach nicht mit Webster. Aber sie lobt ihn. "Außergewöhnliche Qualität", schrieb sie gerade. Sie habe gelernt, dass man Engländer sein und für die USA produzieren, aber "objektiv und intellektuell ehrlich" sein könne. Dreimal habe sie sich die Serie angesehen, in Argentinien "Nisman: der Staatsanwalt, die Präsidentin und der Spion" genannt. Dreimal, das wären 18 Stunden.

Nisman - Tod eines Staatsanwalts, in der ZDF-Mediathek

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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