Medienkolumne "Abspann":Aus dem Leben eines Leinenbeutels

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Die "New York Times" kürt das neue Berliner It-Piece: Es ist nachhaltig. Es kommt aus München. Es ist eine Sensation. Beinahe.

Von Theresa Hein

In Deutschland erfährt man ja ständig alles über die USA. Netflix, Hollywood, New York Times. Umso spannender ist es, wenn man lesen kann, was die Leserinnen und Leser der New York Times jetzt mal über Deutschland erfahren. Die vermeldete am Mittwoch, dass es in Berlin einen geheimnisvollen Stoffbeutel gibt, der so mysteriös wie omnipräsent sei, bedruckt mit altdeutscher Schrift und rotem Emblem.

Der Artikel ist in seinem Anspruch, einen popkulturellen Mythos aufzubrechen, ganz New York Times und verbindet lässig die Ich-Perspektive der Autorin mit einer soliden Investigativrecherche: Nachdem die Korrespondentin dank Passantenbefragung herausgefunden hat, woher das It-Piece komme, von Hugendubel nämlich, wurde die Münchner Buchhandelskette dazu befragt. Außerdem ordnete ein Professor der Freien Universität Berlin die mysteriösen Schriftzeichen darauf ein.

Der Beutel roch übrigens recht häufig nach Banane

Das Ergebnis ist wunderbar: Keine Bedeutung, die Schriftzeichen sind nur da, weil sie gut aussehen. Hierzulande ist der Beutel vielen ja eher als das nervtötende Ding in Erinnerung, das Eltern dem Teenagernachwuchs in die Hand gedrückt haben, wenn sie "noch schnell was mitgeben" wollten (Pullover, Wasserflaschen, Brotzeittüten). Und das dann über Jahre weitergereicht und so schnell zweckentfremdet wurde, wie die Tasche für einen Euro oder eine Mark erstanden wurde. Der Beutel roch übrigens recht häufig nach Banane.

Jetzt also ist das Gebrauchsding ein Modekracher, erfrischender Außenperspektive sei Dank. Übrigens, das steht nicht im Artikel, läuft der Beutel in seiner Heimatstadt unter der Bezeichnung "Leinensackerl", ein Begriff, der gut passt, weil er seinen Gegenstand nicht zu ernst nimmt und zugleich etwas ihm Inhärentes beschreibt: die Banalität des Beutels. In dem Bericht erfährt er nun endlich die Huldigung und internationale Aufmerksamkeit, die ihm gebührt.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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