Endlich ist er vorbei, der Wahlkampf in den USA. Eine Schlammschlacht über Monate, quälend für alle Beteiligten, selbst für die Zuschauer. Dabei könnte das Amt des US-Präsidenten ganz plötzlich wechseln, ohne diesen Marathon aus TV-Duellen und Meinungsumfragen. Die Serie Designated Surivor hat eine Nachfolgeregelung entdeckt, durch die man von einem Moment auf den nächsten zum Oberhaupt der Vereinigten Staaten werden kann. Es braucht dazu nur die größte denkbare Katastrophe.
Tom Kirkman reißt das Fenster auf und sieht noch einen riesigen Feuerball über dem Kapitol in Washington aufsteigen. Dort war der Kongress und die gesamte Regierung für die "State of the Union"-Rede versammelt. Nur Kirkman, der Minister für Wohnungsbau und Stadtplanung, fehlte. Er wurde zum Designated Survivor bestimmt. Seine Aufgabe: weit weg von der Versammlung der kompletten Führungsriege an einem geheimen Ort überleben, damit noch einer da ist, der regieren kann, sollten alle anderen getötet werden.
Sutherland glänzt in der Rolle des Zufallspräsidenten
Dieser absolute Ausnahmefall tritt in der Serie ein. Der Secret Service schafft Kirkman ins Weiße Haus, wo er noch im Jogginganzug vereidigt wird. Brisant ist dabei nicht nur, dass er noch am Morgen gebeten wurde zurückzutreten. Kirkman ist das Gegenteil von Frank Underwood aus House of Cards. Statt eines eiskalten Machtmenschen, der sich zum höchsten Amt der USA durchbeißt, ist er nur ein eher unbekannter Hinterbänkler; Minister für Wohnungsbau ist ein Amt für Bürokraten, nicht für Anführer. Nun hat ihn das Schicksal ins Oval Office gesetzt.
Kiefer Sutherland glänzt in der Rolle des Zufallspräsidenten, der seine Panik in den Griff bekommen muss, um den souveränen Staatsmann zu spielen, der er nie sein wollte. Ein Außenseiter, ein Präsident wider Willen klingt fast wie der Wunsch der vielen Amerikaner, die mit keinem der beiden realen Kandidaten etwas anfangen konnten.
Die genreübliche Eskalation wird hier schon zu Beginn übertroffen
Sutherland ist aber auch sonst eine interessante Besetzung: Von 2001 an war er Bundesagent Jack Bauer, der in 24 genau einen Tag Zeit hat, um einen Mordanschlag auf einen Senator zu verhindern. 24 startete knapp zwei Monate nach dem 11. September 2001 im US-Fernsehen. Es folgten acht Staffeln, deren Bedrohungsszenarien sich gegenseitig übertrafen: Terroristen planten Biowaffen oder sogar Atombomben einzusetzen. Jack Bauer konnte das regelmäßig in letzter Sekunde verhindern.
Designated Survivor ist eine Fortsetzung des Genres um die Terrorparanoia, das mit Homeland oder Quantico noch weitere Serien hervorgebracht hat. Die Eskalationslogik dieser Thriller, dass der nächste Angriff immer noch verheerender sein muss, ist am Anfang von Designated Survivor auf dem Höhepunkt angekommen: Mehr als die komplette Regierung auf einen Schlag wegzubomben, kann ein Terrorist nicht erreichen.
Die Serie entspricht dem Zeitgeist eines tief gespaltenen Amerikas
Weil es keine Steigerung gibt, verabschiedet sich die Serie auch schnell von einem Muster, das 24 einst vorgegeben hat. Es gilt nicht, den kommenden Angriff zu verhindern, sondern nach dem vergangenen wieder Halt zu finden. Auch das entspricht dem Zeitgeist eines tief gespaltenen Amerikas. Tom Kirkman muss um seine Legitimität kämpfen, er ist ohne Wahl ins Amt gerutscht. Ein Gouverneur meutert gegen ihn. Eine FBI-Agentin stößt derweil auf die Spur, dass nicht Islamisten hinter dem Anschlag stecken könnten, sondern Verschwörer aus dem Inneren.
In Designated Survivor hallt das verlorene Vertrauen in die politischen Eliten wieder. Die Serie spitzt die Feindschaft der politischen Lager bis zum Äußersten zu und lässt wahr werden, was bisher nur hysterische Wahlkampfrhetorik war: Amerika putscht gegen sich selbst.
Designated Survivor , abrufbar auf Netflix.