Nachtkritik: Hart aber fair:Demokratie? Wie unbequem!

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Ein hochaktuelles Thema - aber leider wenig Erkenntnisgewinn: Wie gefährlich sind die ägyptischen Muslimbrüder, fragt Frank Plasberg - während in Kairo Anhänger und Gegner Mubaraks aufeinander einprügeln.

Marlene Weiss

Wer den Journalisten Ulrich Kienzle und Michel Friedman, ehedem Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zusammen in eine Talkshow lädt, darf davon ausgehen, dass es zumindest nicht langweilig wird: Die beiden sind einander in herzlicher Feindschaft zugetan.

Anhänger und Gegner des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak bekämpfen sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Stöcken und Steinen. Unterdessen diskutieren Frank Plasbergs Studiogäste bei "Hart aber fair" die Frage: "Freiheit oder Gottesstaat - wie gefährlich ist die Revolution am Nil?" (Foto: dpa)

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Frank Plasberg in einer Hart aber fair-Sendung zum Gaza-Krieg beobachten konnte, wie die streitbaren Herren aufeinander losgingen. Jetzt also wieder die gleiche bewährte Kombination, diesmal zu den Protesten in Ägypten.

"Freiheit oder Gottesstaat - wie gefährlich ist die Revolution am Nil?", heißt die Sendung. Der Titel wirkt angesichts der Entwicklung in Ägypten reichlich verfehlt.

Am Mittwoch, wenige Stunden vor Sendetermin, haben sich die Ereignisse überschlagen: Das Regime von Präsident Hosni Mubarak hat Tausende Schläger, manche auf Kamelen und Pferden, losgeschickt, die auf die Demonstranten einprügelten. Mindestens drei Menschen starben, Hunderte wurden verletzt, während das Militär tatenlos zuschaute, ohne Partei zu ergreifen.

Gefährlich ist die Revolution damit zunächst einmal offensichtlich für die Demonstranten, die auf der Straße eindeutig ihr Leben riskieren. Um sie geht es in der Diskussion jedoch nur am Rande.

Stattdessen spricht man über Muslimbrüder und Muslime, über geostrategische Interessen, Öl und Demokratie, als gelte es abzuwägen, welche Regierung man denn für die Ägypter bestimmen solle, demokratisch, versteht sich.

"Eine Stimmung wie 1989 in Deutschland"

Der Verdacht, dass da ein Missverständnis vorliegen könnte, drängt sich gleich zu Beginn der Sendung auf: Aus Kairo wird der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad zugeschaltet, der zu den Protesten nach Ägypten gereist ist. Offenbar geht Plasberg davon aus, es mit einem neutralen Beobachter zu tun zu haben - aber sein Gesprächspartner redet beharrlich als direkt Beteiligter. "Ich verstehe nicht, wieso das Militär nicht eingreift, nach fünf Stunden Straßenschlacht", sagt er sichtlich betroffen. Und Plasberg fragt zweimal nach: "Sie sagen wir, Sie solidarisieren sich mit den Demonstranten? Als Politikwissenschaftler, der in Deutschland lehrt?"

Er sei froh, dabei zu sein, antwortet Abdel-Samad, die Stimmung sei wie 1989 in Deutschland.

Eigentlich ein gutes Stichwort, das später in der Sendung noch öfter erwähnt wird: Ähnelt die Lage in Ägypten im Jahr 2011 wirklich Deutschland anno 1989, oder eher der Revolution im Iran 1979, als der Schah durch Religionsführer ersetzt wurde?

Leider will sich der rote Faden nicht recht einstellen, und das Gespräch wabert ziellos hin und her. Ob die Toten und Verletzten einem unvermeidbaren arabischen Drehbuch entsprächen, will Plasberg von Ulrich Kienzle wissen, der als langjähriger Nahost-Korrespondent der ARD mit der Region gut vertraut ist. Doch der möchte lieber von einem anderen Thema reden und kritisiert die distanzierte Haltung von Außenminister Guido Westerwelle, der die Ägypter im Stich lasse. "Was hätte er denn sagen sollen? Oder hätte er auf die Straße gehen sollen?", fragt Plasberg, aber auch dies bleibt unbeantwortet.

Statt sich also mit der eigentlichen Fragestellung der Sendung auseinanderzusetzen, hüpft die Runde munter zwischen mehr oder weniger zusammenhängenden Themen hin und her: In gewohnter Plasberg'scher Sprunghaftigkeit schafft es der Moderator gar, den Bogen von Barack Obama bis zum Kommunismus zu spannen.

Einzig Michel Friedman ist in Bestform und scheint nicht gewillt, sich auch nur eine Redesekunde wegnehmen zu lassen - nicht von den anderen Gästen, nicht von Moderator Plasberg, und schon gar nicht von Ulrich Kienzle.

Doch auch er zeigt nur bescheidenes Interesse für Plasbergs Fragen und hält stattdessen lieber Monologe über Freiheitsbewegungen, der Rolle der Armee als unentschlossener Wackelpudding und der Verpflichtung der westlichen Politik, deutliche Signale zu senden. Dass hier keine zwei Satzteile zusammenpassen, verzeiht man Friedman gerne, er ist ein guter Redner, auch wenn man ihn nicht so genau versteht.

Endlich bringt ein Einspielfilm die Runde zurück zur Fragestellung: Er fasst die dunklen Seiten der ägyptischen Muslimbrüder zusammen - der Verfassungsschutz fand auf ihrer Website vor nicht allzu langer Zeit Aussagen wie: "Der Dschihad ist unser Weg, der Tod für Gott unser nobelster Wunsch." Dazu darf Cilja Harders sich äußern, Politikwissenschaftlerin am berühmten Otto-Suhr-Institut in Berlin.

Voll Optimismus strahlt sie in die Kamera und findet alles gut: Die Islamisten seien nicht radikal, sondern eine Reformbewegung, würden auch gemäßigte Politiker unterstützen, und der Film habe Dinge verknüpft, die nicht zusammengehörten - welche das sind, das sagt sie nicht.

An dieser Stelle sind Friedman und Kienzle das Zuhören leid und verbieten sich gegenseitig das Wort. Friedman hält die Muslimbrüder für gefährlich, Kienzle nicht; Kienzle findet, Friedman rede Unsinn, Friedman beruft sich wild gestikulierend auf seine überlegene Diskussionskultur - alles durchaus amüsant, aber die Diskussion bringt es nicht weiter. Man könnte meinen, Ägypten hätte Plasbergs Gäste persönlich um Revolutionserlaubnis gebeten.

Wie so oft in dieser Sendung nimmt man es mit dem Gesagten nicht so genau. Was nicht ins Bild passt, wird für irrelevant erklärt, Friedman und Kienzle beschimpfen sich lustvoll. Das zentrale Problem bringt erst Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, wieder auf den Punkt: "Wir können doch nicht vorsichtshalber freie Wahlen abschaffen", sagt er - und entlarvt mit dieser einen Frage die Verlogenheit der Diskussion. Was sonst das Problem vieler Talkshows ist, erweist sich an diesem Abend also also Segen: All das Gesagte, alle Forderungen, verpuffen im luftleeren Raum.

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