Nach Jahrzehnten der Feindschaft:Springer geht auf "Bild"-Kritiker Wallraff zu

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Abhöraktionen, Kampagnen und unzählige Prozesse: Springer-Chef Mathias Döpfner bedauert die Art und Weise, wie die "Bild"-Zeitung in den siebziger Jahren mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff umgegangen ist - und verspricht Aufklärung. Wallraff sagt: "Ich bin auf das Ergebnis sehr gespannt." Bekommt eine der giftigsten Feindschaften in der deutschen Nachkriegsgeschichte doch noch ein Happy End?

Oliver Das Gupta

Günter Wallraff und die Bild-Zeitung, das ist ein Verhältnis, das Bücher füllt. Der Enthüllungsjournalist schlich sich in den siebziger Jahren unter dem Decknamen "Hans Esser" bei dem Boulevardblatt ein - und beschrieb hinterher in seinem Werk "Der Aufmacher" die anrüchigen Machenschaften der Bild-Redakteure. Das Buch wurde ein Bestseller, der Wirbel war immens, es folgten unzählige Prozesse - Wallraff gewann sie alle. Bild wurde vom Bundesgerichtshof ausdrücklich als "Fehlentwicklung im Deutschen Pressewesen" bezeichnet. Seitdem galt der Mann aus Köln bei Bild als Gegenspieler schlechthin.

Reagiert vorsichtig auf den Vorstoß von Verlagschef Döpfner: Günter Wallraff (Foto: ddp)

Dieser Feindschaft, die nun fast 35 Jahre währt, widmet sich der WDR. Versteckt im Nachtprogramm: der Film "Das Wallraff-Urteil und die Folgen". Darin kommt auch Mathias Döpfner zu Wort, der heutige Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG.

Döpfner spricht in gewundenen Sätzen, deren Inhalt erstaunt: Laut WDR bedauert er, wie die Bild-Zeitung Mitte der 1970er Jahre mit Wallraff umgegangen ist. Es sehe so aus, dass "damals Dinge in unserem Haus gelaufen sind, die sich mit unseren Vorstellungen, mit unseren Werten und im Rahmen unseres Handelns nicht vertragen", so Döpfner.

Die Aufarbeitung habe bereits begonnen: "Und wir sind gerade mitten dabei, das minutiös zu ergründen und aufzuklären." Und dann auch transparent zu machen. Man habe nichts zu verstecken, beteuert Döpfner, und formuliert umständlich: "Wenn damals Dinge falsch gelaufen sind, dann wollen wir sie heute zumindest wissen, um auch klar zu machen, so was tragen wir nicht mit."

Döpfner geht noch weiter in seinen vom Springer-Verlag inzwischen bestätigten Ausführungen. Der Konzernlenker preist sogar die Wirkung von Wallraffs verdeckter Recherche: "Fest steht, dass mit dieser Aktion sozusagen der Undercover-Journalismus in Deutschland sich etabliert hat und damit eine journalistische Form etabliert worden ist, die heute noch benutzt wird und die sicherlich auch vieles ans Tageslicht gebracht hat und gute Dinge bewirkt hat. Dass das für Bild damals ein Schock war, ist völlig klar, verständlich - aber von nichts kommt nichts."

Wenige Minuten, nachdem der WDR die Pressemitteilung mit diesen Zitaten publiziert hat, zieht Günter Wallraff den Text aus dem Fax in seinem Kölner Wohnhaus. Was er davon hält?

Der Rheinländer wählt seine Worte vorsichtig, aber er klingt positiv: "Es gibt Anzeichen dafür, dass das nicht nur Lippenbekenntnisse sind", sagt Wallraff zu sueddeutsche.de. "Herr Döpfner scheint das ernst zu meinen." Wenn der Springer-Konzern "das nun ehrlich und selbstkritisch aufklärt, bin ich auf das Ergebnis sehr gespannt".

Wallraff interessiert sich vor allem dafür, wie ihn deutsche Sicherheitsbehörden abhören ließen. "Bekanntlich tummelten sich seinerzeit zahlreiche Leute mit Nazi-Vita in den Geheimdiensten", sagt Wallraff, "vor allem im BND waberte und dampfte regelrecht die braune Kacke." In der Tat wimmelte es in den deutschen Behörden damals von Leuten, die bereits im Sicherheitsapparat des NS-Regimes arbeiteten. Der politisch eher Links verortete, aber parteilose Wallraff galt den bräunlichen Veteranen als besonders gefährlich: "Für die war ich der Feind, den man mit immer neuen Vorwänden unter dauernder Beobachtung halten wollte."

Will die "Bild"-Vergangenheit transparent machen: Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner (Foto: dapd)

Wallraff schildert, wie die Geheimdienste seine Recherchen behinderten - und in zwei Fällen sogar verhinderten: Einmal flog er bei Melitta auf: "Der Inhaber Horst Benz, ein ehemaliger SS-Mann, war aus Geheimdienstkreisen gewarnt worden, wie er sich später selber rühmte", sagt Wallraff und man merkt ihm an, wie ihn die geplatzte Recherche noch immer wurmt.

Die staatliche Schnüffelei hatte auch Auswirkungen auf Wallraffs Umfeld. Kürzlich meldete sich ein Bekannter bei ihm, ein früherer Juso. Der Mann habe ein BND-Dossier erhalten, aus dem hervorgegangen sei, dass er in den siebziger Jahren seine Stelle in einer Behörde verloren habe, weil er Kontakt zu Wallraff hatte und dies über sein abgehörtes Telefon bekannt geworden sei.

Und auch Bild erhielt Informationen über Wallraff - und das offenbar in größerem Umfang: "Es gab sogar eine Parallelschaltung von meinem Büro in die Kölner Bild-Redaktion, von einer Seilschaft des BND bewerkstelligt."

Die Bild-Redakteure standen nachher vor Gericht und mussten Geldbußen bezahlen. Die ausführenden Instanzen des Geheimdienstes wurden bis heute nicht belangt. Nun hofft Wallraff darauf, dass auch die Hintermänner enttarnt werden - ausgerechnet mit Springers Hilfe. Bekommt eine der giftigsten Feindschaften deutscher Nachkriegsgeschichte ein Happy End?

Zumindest haben sich die Protagonisten schon einmal persönlich kennengelernt. Neulich, beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Jüdischen Museums in Berlin wurden Wallraff und Döpfner einander vorgestellt. Günter Wallraff erzählt von dieser Begegnung in nüchternen, kontrollierten Worten. Er sagt es zwar nicht, aber man hört: Döpfner war ihm nicht unsympathisch. Er sagte dem Konzern-Lenker damals den Satz: "Das ist wohl der richtige symbolische Ort, sich die Hand zu geben."

Schwarz auf Weiß. ARD, 23.30 Uhr; Die lange Günter Wallraff-Nacht, Samstag, 19.11; WDR, von 23.30 Uhr an, beginnend mit Der Mann, der bei Bild Hans Esser war.

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