Diese Rezension wurde zum ersten Mal anlässlich der Erstausstrahlung des Films am 19. September 2018 veröffentlicht. Am Mittwochabend läuft "Der große Rudolph" erneut im Ersten.
Alles ist Theater in diesem Film, und zugleich eine Geisterbeschwörung, bei der man als Zuschauer das Gefühl hat, der Leibhaftige sei gerade erschienen. Wie eh und je mit seiner pechschwarz glänzenden, rokokohaften Perücke, den goldenen Knöpfen am etwas zu großen Sakko sowie dem aufgesetzten Lächeln, bei dem sich der Schnurrbart nur leicht in die Breite dehnt. Ist er das wirklich? Aber nein, es ist alles nur Fiktion; es ist die Vorstellung eines Menschen, der selbst ein Verwandlungskünstler und ein Meister der Verstellung war. Es ist ein Film über Rudolph Moshammer mit einem Schauspieler in der Hauptrolle, der sich dem Vorbild auf unheimliche Weise annähert, obwohl er ihm nur entfernt ähnlich sieht.
Als sei Moshammer niemals weg gewesen. Als sei die Zeit stehen geblieben seit den Achtzigerjahren, als es noch ganz andere Platzhirsche gab als die internationalen Luxusketten, die heute überall auf der Welt gleich dröge aussehen. Damals residierte in der Münchner Maximilianstraße ein exzentrischer Boutiquenkönig mit seiner operettenhaften Frau Mama und seinem nicht minder kuriosen Hund Daisy. Drei Figuren wie im Märchen. Fantastische Boulevardwesen, die damals nirgendwo anders zu finden waren als in dieser theaterbesessenen Stadt, in der einer wie Rudolph Moshammer zu einem Unikat werden konnte.
Am Mittwoch läuft diese Beschwörungsnummer in der ARD. Schon beim Münchner Filmfest sorgte Der große Rudolph für Aufsehen, vor allem wegen der Darsteller. Thomas Schmauser, der sonst gleich gegenüber dem alten Modegeschäft im Residenztheater auf der Bühne berserkert, gibt einen feinfühligen, gelegentlich aber auch groben Moshammer ab. Allerdings hat er in Hannelore Elsner, die seine geliebte Mama Else spielt, auch eine brillante Partnerin an seiner Seite. Und das ist ja der Kern dieses Spielfilms: Wie sich diese beiden, Mutter und Sohn Moshammer, gegen den drohenden Niedergang ihrer längst aus der Zeit gefallenen Boutique wehren. Wie sie die Komödie immer weiterspielen, weniger getrieben von Geldgier als von Geltungssucht. Wie sie mit boshafter Verzweiflung versuchen, den schönen Schein zu wahren und dabei aneinander leiden. Auch wenn der Sohn in einem seiner ekstatischen Momente verspricht: "Mama, ich werde dich zum Leuchten bringen!"
Franz Josef Strauß regiert zur Glanzzeit des Bussi-Bussi-Business
Rudolph Moshammer zu sein, das zeigt dieser Film, war kein Spaß. Allein schon wegen dieser Mutter aller Probleme, die ihn mit selbstsüchtiger Liebe geradezu erdrückte.
Regisseur Alexander Adolph, der auch das Drehbuch geschrieben hat, sieht man es nach, dass er sich aus Moshammers Leben recht frei bedient hat. Der Film spielt ja in den Achtzigerjahren, zu den Glanzzeiten des Bussi-Bussi-Business in München und in der fulminanten Spätphase des letzten barocken Bayernherrschers Franz Josef Strauß. Damals war Moshammer noch nicht der Unglücksparadiesvogel, der gleich zwei Mal im Vorentscheid zum europäischen Schlager-Grand-Prix auf schmachvolle Weise scheiterte und auf Shopping-Kanälen für Hundepflegemittel warb. Der Film, das ist seine Stärke, bleibt in der Schwebe, weil er den jüngeren, durchaus erfolgreichen und den älteren, immer knapp an der Lächerlichkeit vorbeischrammenden Modehändler in einer Figur vereint. Was nur konsequent ist angesichts des Facettenreichtums dieser Persönlichkeit: Rudolph Moshammer konnte in seinem Laden, in dem er selbstgefälligen Kunden viel zu teure Anzüge und Krawatten aufschwatzte, souverän auftreten. Er war lange Zeit eine Attraktion für jedes Münchner Häppchen-Event, ein im Blitzlicht schimmerndes Perpetuum mobile.
Und doch hatte man immer das Gefühl, dass er sich bei den Obdachlosen unter der Wittelsbacher Brücke eigentlich wohler fühlte. Mit ihnen, den Underdogs der reichen Stadt, fühlte er sich verbunden und warb öffentlich für sie. Sein Vater, einst ein erfolgreicher Versicherungsangestellter, war dem Alkohol verfallen und auf der Straße gelandet. Das vergaß der Sohn nie. Dennoch hatte auch Moshammers Obdachlosenhilfe eine Kehrseite. Sie war eine Herzensangelegenheit, aus der er Kapital zu schlagen versuchte.
Im Film ist das sehr auf die Spitze getrieben, als die Abgerissenen der Stadt nach einer verunglückten Inszenierung das Geschäft ihres Gönners stürmen und sich dort eben nicht mit ein paar Butterbroten abspeisen lassen wollen, sondern Randale machen. Sehr zur Freude der Zyniker vom Privatfernsehen, die den Mosi-Wahnsinn total geil finden und natürlich voll draufhalten mit ihrer Kamera. Seit Helmut Dietls München-Serien aus den Achtzigerjahren, vor allem seit Kir Royal hat man ja eine Ahnung von der schöpferischen Kraft der Münchner Boulevardmedien, die in den goldenen Zeiten ganze Lebensläufe dichteten, überall Skandale witterten und Prominenz so erst möglich machten. Aber auch das ist längst Geschichte. Früher war eben mehr Lametta.
"Mare of Easttown" auf Sky:Tristesse in Wollsocken
Kate Winslet als Postergirl der Pandemie: eine abgeranzte, vom Leben gebeutelte Detektivin. Sie ist nicht nur müde, sondern bitter, verletzt, verloren. Wie alle Menschen in dieser grandiosen Serie.
Alexander Adolph, der für den Tatort und Polizeiruf eine Reihe sehenswerter Filme gemacht hat, kennt sich aus mit Grenzgängern. Schon in seinem Dokumentarfilm Die Hochstapler von 2006 durften ehemalige Straftäter von der Leichtgläubigkeit ihrer Opfer schwärmen. Auch Thomas Schmausers "großer Rudolph", der im Film ein betont langsames, leicht theatralisches, von Derbheiten durchsetztes Großstadtbairisch spricht und dabei dem realen Vorbild erstaunlich nahekommt, hat die Anlage zum Hochstapler. Und es hat etwas Gespenstisches, wie er dem armen Lehrmädchen Evi aus der Provinz (Lena Urzendowksy) seine geheime Werkstatt zeigt: Im Keller der Maximilianstraße lässt der Modehändler Kaufhaus-Sakkos aus Konkursbeständen zu 2000 Mark teuren Moshammer-Jacken umschneidern, ein Wapperl und ein Schulterpolster sind für die Umrüstung völlig ausreichend. Das sei kein Betrug, versichert der Film-Mosi voller Überzeugung: Schließlich mache das Kleidungsstück ja etwas mit dem Käufer, vor allem, wenn es teuer sei. "Bei Mode geht's nicht ums Material, nicht um die Qualität - es geht um die Wirkung."
Ja, dieser Moshammer hat durchaus seine großen Momente, etwa wenn er seinen weniger gefestigten Kunden das Gefühl vermittelt, sie seien seine Seelenverwandten und könnten mit der richtigen Ausstattung aussehen wie der Gottschalk, der Thommy. Und er hat seine dunklen Seiten, eine abgrundtiefe Traurigkeit. Ein misanthropischer Film also, bis in die Nebenrollen toll besetzt (Sunnyi Melles und Hanns Zischler spielen Moshammers Geldgeber auf aberwitzig treuherzige Weise). Ein Kammerspiel, das gegen Ende leider etwas schwächelt. Doch wie es weiterging mit diesem zur Selbstdarstellung verdammten Helden, der so gerne junge Männer von der Straße in seinen Rolls-Royce einlud, dürfte ja wohl noch jedem Zuschauer präsent sein.
Für Mosi-Fans gibt's nach diesem Film nur eine Möglichkeit: mal wieder den Münchner Ostfriedhof besuchen. Dort ruht der große Rudolph seit 2005, vereint mit Mama Else - in einem Mausoleum, das eines Königs würdig ist.
Der große Rudolph , Das Erste, Mittwoch, 20.15 Uhr.