Arte-Serie "Blinded":Nordic Nuit

Lesezeit: 3 min

Der Normalo von nebenan: Peter Vinge (Tobias Santelmann) mit Frau (Josephine Park ) und Sohn (Louis Næss-Schmidt) - eine Familie, die so längst nicht mehr existiert. (Foto: Per Arnesen)

Die dänische Miniserie "Blinded - Schatten der Vergangenheit" folgt in aller Ruhe einem Serienkiller auf seinen nächtlichen Touren. Horror inklusive.

Von Christine Dössel

Der Täter ist ein Sadist mit den typischen Merkmalen eines Serienkillers: der stinknormale Nachbar von nebenan, ein unauffälliger Durchschnittstyp. Liebevoller Vater eines kleinen Sohnes. Alleinerziehend, weil die Frau Karriere in Singapur macht. Angestellt in einem Sägewerk, geschätzt vom Chef und den Kollegen. Sportler, nettes Lächeln, Holzfällerhemd. Häuslich, freundlich, zuverlässig. Setzt sich, wenn sein Junge in der Schule einen anderen verhauen hat, mit der Lehrerin und allen Beteiligten zu einem Schlichtungsgespräch hin. Springt hilfsbereit ein, wenn eine ihm wildfremde Frau an der Tankstelle nicht zahlen kann, weil sie ihr Portemonnaie vergessen hat. So einer. Sein Name: Peter Vinge (Tobias Santelmann). Er tötet Männer. Bevor er sie stranguliert, ritzt er ihnen mit einem Messer die Haut ein und weidet sich an ihrer Qual.

Jetzt bitte nicht aufregen! Dass hier gleich mal der Mörder verraten wird, ist kein übler Spoiler. Blinded - Schatten der Vergangenheit auf Arte gehört zu jenen Serien, in denen der Täter von der ersten Folge an bekannt ist - eine Untergattung, in der sich die Spannung nicht aus dem Whodunit speist, sondern aus dem spezifischen Wie und Was: Wie der Killer (und was in ihm) vorgeht. Wie er lange Zeit durchkommt und dann doch Fehler macht. Wie die Ermittlerinnen ihm nach und nach auf die Schliche kommen - mit dem besonderen Reiz, dass wir als Zuschauer Täterwissen haben und ihnen immer ein paar Informationen voraus sind. Als schwer zu toppendes Musterbeispiel für diese Spielart kann die britische Serie The Fall - Tod in Belfast gelten, in der die sensationell kühle, elegante, seidenblusenfeine Gillian Anderson und charming Jamie Dornan (als Serienmörder Paul Spector) sich in einem fesselnden Katz-und Maus-Spiel umkreisen ( zu sehen in der ZDF-Mediathek).

Die weitläufigen Waldgebiete der Insel Fünen spielen eine besondere Rolle

Bestimmt hatte auch Drehbuchautorin Ina Bruhn The Fall im Auge, als sie für Blinded - Schatten der Vergangenheit einschlägige Versatzstücke zu einem Nordic Noir mit Täter-Einblick zusammenfügte. Sie erfindet das Genre nicht neu, bespielt es aber auf dänisch-düstere Weise sehr fokussiert, stringent und spannungssolide im Rahmen einer Ländlichkeit, wie sie hier die unspektakuläre Insel Fünen vorgibt, deren weitläufige Waldgebiete eine besondere Rolle spielen. Die kühle Spätherbststimmung, die erdigen Farben, die warmen Lichter, Mäntel und Pullover tun ein Übriges. Dem Serienkiller stehen drei Frauen gegenüber, von denen die ruhig-überlegte Profilerin Louise Bergstein (Natalie Madueño) die eigentliche Hauptfigur ist. Sie war in dieser dänischen Serien-Anthologie auch schon in der ersten Staffel Darkness: Schatten der Vergangenheit als Ermittlerin dabei (2019 bei Arte). Das Ganze ist ein Ableger der Reihe Nordlicht - Mörder ohne Reue, die mit grausigen Morden auffiel. Auch Blinded ist gewiss nichts für empfindsame Zuschauer.

Natalie Madueño als klug-besonnene Fallanalytikerin Louise Bergstein. (Foto: Per Arnesen)

Louise Bergstein kommt aus Kopenhagen in die Provinz, weil Alice Ejbye (Solbjørg Højfeldt) sie gerufen hat, einst die beste Freundin ihrer Mutter. Die selbstbewusste Richterin, eine würdevolle Matrone, hat Krebs und nicht mehr lange zu leben. Sie will nicht sterben, ohne zu erfahren, wer ihren Sohn auf dem Gewissen hat, der vor fünf Jahren brutal ermordet wurde. Zwei weitere junge Männer starben, doch der Täter wurde nie gefasst. Alice, die nichts zu verlieren hat, wird ihn im Laufe der acht Folgen noch persönlich herausfordern. Die lokale Polizistin Karina Hørup (Helle Fagralid), die als Figur leider blass bleibt, bezieht Louise in die Ermittlungen ein. Denn nach fünfjähriger Pause schlägt der Mörder wieder zu, und die besonnene Art und Weise, wie Louise über den Fall nachdenkt und ein Täterprofil erstellt, macht Eindruck. Überhaupt ist Louise alles andere als eine arrogante Besserpolizistin aus der Stadt. Man könnte sie in ihrer zurückgenommenen Art fast als temperamentlos bezeichnen. Dass sie dem Täter näher kommt, als ihr das als Psychoprofi unterlaufen dürfte, weist sie auch als labil aus.

Wer Action braucht, ist hier fehl am Platz. Gerade aus der Ruhe, dem langsamen Erzählfluss, den Nebensächlichkeiten und Banalitäten der Normalität schöpft diese Serie ihre leise Kraft. Da bleibt viel Zeit, sich umzuschauen in den Interieurs der Wohnungen und in den Gesichtern. Sonnenlicht gibt es nicht. Der Grusel gedeiht im Dunklen. Da der Täter nachtaktiv ist, wird hier aus dem Genre Nordic Noir buchstäblich ein Nordic Nuit mit Horrorfilmelementen (Regie: Jonas Alexander Arnby) - vor allem wenn Peter Vinge wie ein Geist in fremde Wohnungen eindringt und mit seinem Messer an den Betten schlafender Menschen steht. Er ist einer dieser gekränkten Männer, die zum Albtraum werden.

Blinded - Schatten der Vergangenheit , in der Arte-Mediathek

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