Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:Auf schmalem Grat

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt eine Beschwerde von Raphaël Halet - er ist einer der "Luxleaks"-Whistleblower. (Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

In Straßburg wird noch einmal darüber verhandelt, ob einer der Luxleaks-Informanten zu Recht bestraft wurde. Müssen Whistleblower besser geschützt werden?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war keine besonders harte Strafe, die der oberste Gerichtshof Belgiens 2018 verhängt hatte, jedenfalls gemessen an den finanziellen Dimensionen, die den illustren Hintergrund des Falles bilden. 1000 Euro Strafe musste Raphaël Halet zahlen, ehemaliger Mitarbeiter der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), der zusammen mit seinem Kollegen Antoine Deltour brisante Steuerdokumente an einen Journalisten weitergegeben hatte. Die beiden waren Whistleblower in der "Luxleaks"-Affäre um Steuervorteile für internationale Großkonzerne.

Und die Enthüllungen offenbarten Deals zwischen Luxemburg und internationalen Konzernen, die ihre Steuerlast so gegen null drücken konnten. Die Süddeutsche Zeitung und internationale Medien hatten 2014 darüber berichtet.

An diesem Mittwoch hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über eine Beschwerde von Raphaël Halet verhandelt. Auch eine milde Strafe bleibe eine Strafe, sagte sein Anwalt Christophe Meyer im Straßburger Sitzungssaal des Gerichtshofs, sie könne daher einen "chilling effect" bewirken, eine Abschreckung möglicher Nachahmer, die mit brisanten Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen wollen. "Demokratische Gesellschaften brauchen den Schutz von Whistleblowern", forderte der Jurist.

Für das Gericht war Raphaël Halet nur ein Whistleblower zweiter Ordnung

Es ist für den Whistleblower bereits der zweite Durchgang in Straßburg. Im Mai hatte der EGMR gegen Halet entschieden - er hielt die Abwägung der belgischen Gerichte durchaus für nachvollziehbar. Aus deren Sicht war der Rufschaden für PwC so gravierend, dass das öffentliche Interesse dahinter zurücktreten müsse. Wohlgemerkt: Nicht das Interesse an "Luxleaks" insgesamt - kein Gericht der Welt dürfte bestreiten, dass an den Enthüllungen ein überragendes öffentliches Interesse besteht. Dem Gericht ging es um die speziell von Halet geleakte Dokumente. Erstens gehe es darin nicht um die Praktiken der Steuerbehörden selbst, zweitens sei zuvor schon vieles durch Antoine Deltours Informationen bekannt gewesen. Halet hat deshalb die Große Kammer des EGMR angerufen. Das Urteil wird frühestens in einigen Monaten fallen, es könnte ein Baustein für einen stärkeren Schutz von Whistleblowern werden.

Der Fall illustriert, wie schmal der Grat ist, auf dem Whistleblower wandeln. Der Gerichtshof hielt Halets Rolle bei der Aufdeckung der Affäre nicht für bedeutend genug, um ihm den Schutz der Menschenrechtskonvention zu gewähren. Es sieht ihn als Whistleblower aus der zweiten Reihe, wenn man so will. Und die Fragen einiger Richter am Mittwoch deuten ebenfalls darauf hin, dass sie seine Rolle nach wie vor kritisch sehen. Er habe in seinem Plädoyer stets von Steuerhinterziehung gesprochen, sagte der dänische Richter Jon Fridrik Kjølbro an die Adresse von Halets Anwalt. Aber die 16 von Halet geleakten Dokumente hätten nichts mit strafbarer Steuerhinterziehung zu tun. Auch der französische Richter Mattias Guyomar schien nicht so recht überzeugt zu sein. Hier sei immer von einem "Skandal" die Rede: "Könnten wir eine präzisere Definition haben, wenn mit Skandal nicht illegale Aktivitäten gemeint sind?"

Es wäre an der Zeit, den Schutz von Whistleblowern aufzuwerten

Der EGMR hatte schon 2008 einen Katalog von Kriterien entwickelt, nach denen er den Schutz von Whistleblowern beurteilt. Dazu gehört das öffentliche Interesse an den Informationen, die Möglichkeit, Missstände zunächst an andere Stellen zu melden, die Schäden für den Arbeitgeber und die Motive des Whistleblowers. Eine Abwägung also - deren Ergebnis nicht so leicht vorhersehbar ist. Im Februar 2021 hatte der EGMR in einem weiteren Whistleblower-Fall die fristlose Kündigung eines Klinikarztes für rechtens erklärt. In dessen Krankenhaus, dem Landesspital Liechtenstein, waren zehn Patienten jeweils kurz nach Morphingaben gestorben. Das kam dem Mediziner verdächtig vor, er vermutete rechtswidrige Fälle aktiver Sterbehilfe und erstattete Anzeige. Der Vorwurf zerstreute sich nach einer eingehenden Untersuchung, doch ein Gutachter bescheinigte dem Arzt immerhin, aus anfänglicher Sicht sei sein Verdacht nicht aus der Luft gegriffen gewesen. Und zwar, weil man aus den Unterlagen schon den Eindruck bekommen konnte, Hinweise auf eine Überdosierung seien bewusst vermieden worden. Trotzdem hatte der EGMR keine Einwände gegen die Kündigung - und dies, obwohl der Arzt nur zur Polizei und nicht an die Presse gegangen war.

Eine Aufwertung des Schutzes von Whistleblowern läge jedenfalls im Zug der Zeit. Seit Ende 2019 ist eine entsprechende EU-Richtlinie in Kraft. Am 17. Dezember lief die Frist zu ihrer Umsetzung ab, doch in Deutschland gibt es noch immer kein Gesetz zum Schutz Whistleblowern, sondern nur ein Versprechen der Ampel-Koalition, eines zu verabschieden. Das Bundesjustizministerium will im Laufe des Jahres einen Entwurf vorlegen - wann genau, ist noch offen.

Der EGMR ist zwar kein Gericht der EU, sondern des Europarats, aber ein wichtiger Faktor bei der Etablierung eines wirksamen Schutzes. In der Verhandlung zeigte sich die irische Richterin Síofra O'Leary ein wenig verwundert über die Anregung, der Gerichtshof möge seine seit nunmehr 14 Jahren etablierte Rechtsprechung zum Whistleblowing in Einklang mit der EU-Richtlinie bringen. Denn die Urteile des Gerichtshofs bildeten doch bereits die Basis der Richtlinie - wie aus deren Begründung hervorgehe.

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