Medienereignis Rosetta-Mission:Twitter-Accounts in der Ich-Perspektive

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Kaum ein Ereignis schafft es heute noch, wie 1969 Hunderte Millionen vor einem Programm zusammen zu bringen. Doch das ist nicht alles, was sich verändert hat. Die Faszinationskraft der Raumfahrt ist nicht mehr dieselbe. Es gibt keinen Wettlauf mehr um die Vorherrschaft im All. Und kein Politiker hält im Krisen-Europa pathetische Reden über den Aufbruch in fremde Welten. Der Weltraum als utopischer Ort scheint ausgedient zu haben.

Wenn Rosetta am Mittwoch ihren großen Tag hat, dann werden deshalb nicht alle Sender der Welt ihr Programm unterbrechen. Die meisten Zuschauer werden erst am Abend in den Nachrichten erfahren, ob das Landegerät namens Philae es sicher auf die Kometenoberfläche geschafft hat. Marco Trovatello hat die vergangenen Monate über versucht, trotzdem viele Menschen für Rosetta zu begeistern. Er befüllt 50 Twitter-Accounts, Rosetta und das Landegerät Philae haben je einen eigenen. Sie twittern aus der Ich-Perspektive. Es war die Nasa, die damit anfing, mit diesem Kniff auch leblosen Sonden, Teleskopen und Landegeräten, virtuelles Leben einzuhauchen. Mit großem Erfolg: Der Mars-Rover Curiosity hat 1,7 Millionen Follower bei Twitter. Rosetta kann da noch nicht ganz mithalten: Ihre Nachrichten verfolgen auf der Erde knapp 91 000 Menschen.

"Hallo Welt", lautete im Januar ihr erster Tweet, nachdem sie aus der energiesparenden Tiefschlafphase erwacht war. Vor Kurzem bat Rosetta ihren Nasa-Verwandten Curiosity auf dem Mars um Rat: "Meine Landung ist in sieben Tagen - hast du irgendwelche Tipps?" Für den Höhepunkt der Mission am Mittwoch hat Marco Trovatello alle Tweets schon vorbereitet. Gesendet und angepasst werden sie live: "Es soll so authentisch wie möglich sein - wenn man bei twitternden Sonden von authentisch sprechen kann." Auch auf einen negativen Ausgang ist er vorbereitet. Sollte der Kontakt zum Landegerät abbrechen, verstummt auch Philaes Twitter-Account.

Sogar ein Science-Fiction-Kurzfilm wurde gedreht

Wie besorgt einige Menschen um Aufmerksamkeit für das Projekt gewesen sein müssen, sieht man am sicherlich teuersten Teil der Kampagne: einem sechsminütigen Science-Fiction-Kurzfilm namens Ambition. Zwei irgendwie posthumane Figuren üben darin das Planetenbauen und erinnern sich an die Rosetta-Mission. Regisseur Tomek Bagiński war schon für einen Kurzfilm-Oscar nominiert, gedreht wurde auf Island, die Spezialeffekte sind gewaltig. Und der Hauptdarsteller Aidan Gillen ist bekannt aus der Serie Game of Thrones. Die Wahl dieses Schauspielers ist symptomatisch: Eigentlich interessieren sich die Menschen seit einigen Jahren ja viel mehr für archaische Fantasy-Welten als für Zukunftsszenarien im All. Will die ESA ihr Publikum mit diesem Besetzungstrick für den Weltraum begeistern? In Interstellar, dem Weltraumepos, das in der Woche vor Rosettas Landung in die Kinos gekommen ist, sagt die Hauptfigur einen Satz, der unsere Gegenwart so beschreibt: Früher habe die Menschheit hoch in den Himmel geblickt und sich gefragt, wo ihr Platz zwischen den Sternen sei; "jetzt schauen wir nur noch nach unten, in den Staub."

Der Aufbruchsgeist der Mondlandungsjahre ist verloren und mit ihm jene Grundbegeisterung für die Raumfahrt, die eine Mission wie Rosetta aus der Masse an Informationen herausheben könnte. Doch wenn alles gut geht, werden wir am Mittwoch durch die Kameraaugen von Landegerät Philae ebenfalls in den Staub blicken. In den Kometenstaub.

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