Lanz-Spezial zum Krieg in der Ukraine:Ein bisschen Frieden, bitte

Lesezeit: 2 min

Genau genommen war es ein Abend für Deutschland: Markus Lanz (l.) mit FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff (Foto: Cornelia Lehmann/dpa)

Die Sondersendung heißt "Ein Abend für die Ukraine". Aber eigentlich geht es um deutsche Befindlichkeit.

Von Josef Kelnberger

"Ich bin am Leben." Jeden Morgen seit dem 24. Februar, sagt Natalia Klitschko, warte sie in Hamburg darauf, dass ihr Mann Vitali anruft und diese vier Wörter spricht. Er harrt als Bürgermeister in Kiew aus, gemeinsam mit seinem Bruder Wladimir. "Wow", denkt Natalia Klitschko nach jedem Anruf Vitalis, "noch ein Tag."

Neben ihr im Studio bei Markus Lanz sitzt Anna Kostiuchenko, die mit der 14-jährigen Tochter Lina und dem achtjährigen Sohn Mischa aus dem Süden der Ukraine nach Deutschland geflohen ist. Mischa, traumatisiert, spreche kaum noch ein Wort, erzählt sie und fügt hinzu: Hoffentlich sei dieser Krieg die letzte schlechte Erfahrung im Leben ihrer Kinder.

SZ PlusEnergiepreise
:Das sind die Alternativen zu Gas und Öl

Heizen ist gerade so teuer wie noch nie. Doch es gibt Auswege: Solaranlagen, Holzheizungen oder Wärmepumpen. Wie man Schritt für Schritt auf erneuerbare Energien umsteigt.

Von Andreas Jalsovec

20 Euro, 100 Euro, 50 Euro, 500 Euro, 300 Euro, 100 Euro. Eine endlose Reihe von Spendensummen samt den Namen der Spenderinnen und Spender läuft durch das Bild, während Lanz seine Gäste befragt. Zwischendurch werden immer wieder Bilder des Krieges gezeigt, die zerstörte Geburtsklinik in Mariupol, ein Bus voller Waisenkinder, die über die Grenze nach Polen gebracht werden, der russische Außenminister Lawrow in seinem Zynismus nach den gescheiterten "Friedensverhandlungen" vom Donnerstag.

20 Euro, 100 Euro, 50 Euro. Insgesamt werden über eine Hotline 4,17 Millionen Euro während der hundert Sendeminuten für die Ukraine-Hilfe gesammelt. Da sehe man mal, sagt Lanz, was die Deutschen zu leisten imstande seien.

Bemerkenswert ehrlicher Minister Habeck

"Ein Abend für die Ukraine", lautet der Titel dieser Sondersendung, aber genau genommen ist es ein Abend für Deutschland. Das Land ist tief verstört im Angesicht dieses Krieges, für den man sich mitverantwortlich fühlt. Die Boxbrüder Klitschko haben in Deutschland Karriere gemacht, nun kämpfen sie gegen Putin. Und Deutschland schickt weiterhin Geld für russisches Erdgas nach Moskau, mit dem Putin seine Kriegsmaschine finanziert.

Die deutsche Zerrissenheit verkörpert an diesem Abend niemand besser als Wirtschaftsminister Robert Habeck. Aus moralischer Sicht, sagt er und schaut zu den beiden Frauen hinüber, dürfe man ihn verurteilen. Aber er müsse rational entscheiden: Deutschland könne nicht sofort auf russisches Gas verzichten, ansonsten gebe es eine "massive gesellschaftliche Krise, ausgelöst durch wirtschaftliche Schäden". Und es sei ja nicht so, dass Deutschland nichts tue. Er verweist auf die Sanktionen, auf die Waffenlieferungen, wobei er nicht zu erwähnen vergisst, dass diese deutschen Waffen jetzt junge Russen töten, die von Putin verheizt werden.

Man würde nun gern mehr hören von dem bemerkenswert ehrlichen Minister Habeck, von Frau Klitschko und Frau Kostiuchenko, auch von Fernsehreporterin Sophia Maier, die vor ihrem Einsatz in der Ukraine auch schon aus Syrien und Afghanistan berichtet hat. Eine Runde, die sich ausführlich zu befragen lohnte. Aber sie muss schnell weichen für zwei weitere Runden. Die Größe des ukrainischen Dramas muss an diesem Abend offenbar gekontert werden mit einem Großaufgebot von Gästen, von denen einer unbedingt Gehör verdient: der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus. Er warnt vor einem Chaos in Europa, wenn sich die EU-Staaten nicht bald gemeinsam der Millionen Flüchtlinge annehmen.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, Dauergast in Talkshows, beschließt den Abend, indem er wie üblich den deutschen Kleinmut gegenüber Putin beklagt. Ob er jedes Mal die verbale "Bazooka" auspacken müsse, kontert Markus Lanz. Die Deutschen, soll das wohl heißen, verdienen jetzt auch mal ein bisschen Frieden.

Josef Kelnberger arbeitet seit Sommer 2021 für die SZ als Korrespondent in Brüssel. Seine Lieblingssendungen dort sind flämische Talkshows: Er versteht kein Wort, fühlt sich aber gut unterhalten. Mit deutschen Talkshows geht es ihm leider oft umgekehrt. (Foto: Bernd Schifferdecker)
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKrieg in der Ukraine
:"Russland muss in irgendeiner Form behaupten können, dass es gewonnen habe"

Wie gefährlich sind Sanktionen gegen Russland? Wie enthemmt ist Putin? Wie marode ist die Bundeswehr? Der Londoner Historiker Adam Tooze im Gespräch.

Interview von Nele Pollatschek

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: