Hörspiel "Die Krabbenwanderung":Marihuana im Tabak

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(Foto: Stefan Dimitrov (Illustration)/SZ)

Karosh Taha erzählt vom Freiheitsdrang einer jungen Kurdin. Der WDR hat zwei Fassungen ihres Hörspiels produziert: eine deutsche und eine kurdisch-deutsche.

Von Stefan Fischer

Adjektive taugen nicht, um ihr Viertel zu beschreiben, findet Sanaa. Da würden nur Verben helfen: "wachen, bewachen, überwachen, observieren, spionieren, bespitzeln, kontrollieren, inspizieren, belehren, kommandieren, bewerten, ermahnen, bedrohen, bestrafen!" Immer schneller und immer härter bollern die Wörter aus dem Mund der jungen Frau.

Zübeyde Bulut spielt sie in dem dreiteiligen Hörspiel Die Krabbenwanderung, inszeniert von Mizgin Bilmen nach dem Roman von Karosh Taha. Sanaa ist eine junge Kurdin in Deutschland. Genauer: in einer kurdischen Diaspora in Deutschland. Sie ist emanzipiert, hat ihren eigenen Kopf - und eckt damit an. In der Familie, bei den Hochhausfrauen, wie Sanaa all jene nennt, die von ihren Fenstern aus das Viertel überblicken und über alles tratschen, was sie sehen.

Sanaa begehrt aber nicht wirklich auf, schon gar nicht bricht sie mit ihrer Familie. Sie kümmert sich um die Mutter und die Tante, wenn auch auf ihre Art: Sie mischt Marihuana in deren Tabak, wodurch sich die beiden in hemmungslose Mädchen oder weise Dorfälteste verwandeln, so Sanaa - "aber nie sind sie gehässige Kurdinnen, wie ich sie sonst kenne." Die 15-jährige Schwester Helin, orientierungslos durch ihre Pubertät stolpernd, will Kosmetikerin werden, heiraten, Kinder kriegen. Sanaa flippt aus, wenn sie so etwas hört: "Heiraten ist kein Ziel im Leben. Das ergibt sich."

Für sie bisher nicht. Sie hat einen Freund und einen Liebhaber. Hält beide aber auf Distanz. Sie will unabhängig sein, nicht nur von familiären Traditionen. Will ihrem Milieu entwachsen. Krabben, heißt es an einer Stelle, gehen nie an ihren Geburtsort zurück. Daher der Titel des Hörspiels. Immer wieder aber hat Sanaa das Gefühl, sich im Kreis zu bewegen oder auf der Stelle zu treten. Karosh Taha erzählt davon nicht in drastischen Bildern, sondern entlang vieler alltäglicher Kleinigkeiten. Die Krabbenwanderung ist im besten Sinne unspektakulär. Der Dreiteiler, jedenfalls hat man als Hörer diesen Eindruck, tischt einem keine Klischees auf. Stattdessen entwickelt er genau und eher subtil seine spannende Geschichte.

Es gibt das Hörspiel übrigens in zwei Fassungen, einer deutschsprachigen und einer kurdisch- sowie deutschsprachigen.

Die Krabbenwanderung , WDR 3, 7.-9. Dezember 2021, jeweils 19.04 Uhr (deutsche Version); Cosmo, 12., 19., 26. Dezember, jeweils 20 Uhr (kurdisch-deutsche Version).

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