Impro-Film im Ersten:Allesamt verlogen

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Sie spielen mit der Hölle der guten alten Zeit (v.l.): Annette Frier, Elena Uhlig, Anna Schudt und Nina Kunzendorf. (Foto: Wolfgang Ennenbach/WDR)

"Klassentreffen" ist ein feiner Film über die Krisen von Menschen Mitte 40. Ohne Drehbuch und mit grandiosem Ensemble.

Von Aurelie von Blazekovic

Klassentreffen sind nicht zu unrecht gefürchtete Veranstaltungen. Hier kommen Menschen zusammen, die frühere Versionen von einander kennen, die schauen wollen, wo man selbst heute im Vergleich so steht. Und die noch mal über die gute alte Zeit reden möchten, auch wenn sie oft gar nicht so gut war. Die Gefahr alte Wunden aufzureißen: sehr hoch.

So ist es auch in Klassentreffen. Ein Abend, eine Dorfkneipe, 17 Menschen, die mal eng miteinander waren. 25 Jahre nach dem Abi ist das ein einziges gegenseitiges Abtasten: Was war damals eigentlich wirklich und was ist heute noch möglich? Ist das alte Schulpaar noch glücklich, ist Krischi echt ein Nazi geworden und war Andi nicht längst gestorben? Zwischen diesen Menschen passiert viel. Alte Lieben, verletzte Gefühle und traurige Existenzen entfalten sich, zwischendurch wird geklaut, gekokst und viel geheult. Die Spitznamen von früher mögen lange abgelegt sein, aber klar wird: 25 Jahre ändern gar nichts.

Jan Georg Schütte hat seine hochrangige Besetzung improvisieren lassen. Ohne Drehbuch, nur mit Rollenprofilen haben 32 Kameras vier Stunden lang draufgehalten. Annette Frier, Charly Hübner, Anja Kling, Anna Schudt, Jeanette Hain, Kida Khodr Ramadan und Fabian Hinrichs gehören zum Ensemble, und wenn plötzlich ein Liebesgedicht vorgetragen wird, dann meint man, ehrliche Überraschung zu erkennen. Das Konzept funktioniert wunderbar, man will mehr erfahren von allen.

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Das kann man übrigens auch - eine sechsteilige Mini-Serie zeigt am Freitag insgesamt zweieinhalb Stunden Klassentreffen.

Man will also mehr erfahren etwa von Marion, die damals mit jedem zusammen war, außer mit Andi, der sie bis heute liebt. Von Ulli, verheiratet mit drei Kindern, der eben doch schwul ist, wie alle immer ahnten. Oder von Ali, der auf abgeklärt macht, in Wirklichkeit aber einfach nur einsam ist. Während anfangs noch die harten Fakten abgefragt werden (Job? Wohnort? Verheiratet? Kinder?) und alle beteuern, wie schön es sei, sich wieder zu sehen, kommt nach und nach die Wahrheit ans Licht. Denn so unterschiedlich die Lebenswege der Figuren sind, so sehr gleichen sich alle darin, dass sie nicht im Geringsten so arriviert sind, wie sie tun. "Ihr seid alle so verlogen", wirft immer wieder jemand in den Raum. Das gilt nicht nur für den extra aus Amerika eingeflogenen Angeber.

Langsam versteht man: In der Klasse hat scheinbar jeder einem anderen das Herz gebrochen - und darüber hinweg ist niemand. Am Ende des Abends hat fast jeder mal geheult, aus den Kneipenlautsprechern tönt Everybody Hurts von R.E.M. "So klein alles hier, so klein", ruft Angeber-Sven wütend. Ein Klassentreffen kann zu einer furchtbaren Katastrophe werden. Der Film ist es glücklichweise gar nicht.

Klassentreffen , Das Erste, 20.15 Uhr ; Klassentreffen - Die Serie , One, Freitag, 21.00 Uhr

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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