"In Berlin wächst kein Orangenbaum":Runtergerockt

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Nabil (Kida Khodr Ramadan) lernt seine Tochter Juju (Emma Drogunova) kennen. (Foto: ARD Degeto/Tim Rosenbohm/obs)

Kida Khodr Ramadans Spielfilm ist eine schmutzige, kleine Kiez-Studie.

Von Sonja Zekri

Unter den deutschen Gangstern ist Kida Khodr Ramadan der Melancholiker. Lider, Wangen, Bauch, alles hängt erdenschwer nach unten. Sein Toni Hamady, Pate im Clan-Epos 4 Blocks, tötet, wenn's sein muss, aber es macht ihm keine Freude. Viel lieber wäre ihm der bürgerliche Ruhestand, auch wenn er da mal staubsaugen muss. Die üblichen aussichtslosen Aussteigerträume eben.

Gegen Ramadans jüngsten Helden aber ist Toni Hamady geradezu ein Hüpfer. Zu Beginn von "In Berlin wächst kein Orangenbaum" verweilt die Kamera eine Ewigkeit auf dem erloschenen Gesicht von Nabil Ibrahim (Ramadan). Andererseits hat Nabil auch allen Grund, schlecht drauf zu sein. Er sitzt seit 15 Jahren im Gefängnis für einen Mord, den er nicht begangen hat. Außerdem hat er Krebs im Endstadium.

Emma Drogunova hat genug Lebenshunger für sämtliche müden Gangster Berlins

Also tut er, was er tun muss, nämlich letzte Dinge regeln, lässt sich aus humanitären Gründen entlassen, besucht seine Ex-Frau Cora (lebensnah runtergerockt gespielt von der großartigen Anna Schudt) und entdeckt, dass er eine Tochter hat. Juju (Emma Drogunova) spielt Cello, raucht und begreift die neue Bekanntschaft ganz richtig als Ticket aus der Brandenburger Tristesse, in der sie schmachtet. Jetzt muss Nabil nur noch seinem damaligen Kumpel Ivo das Geld abnehmen, das dieser ihm schuldet, dazu ein oder zwei Wunder, und die glückliche Kleinfamilie packt den Orangenbaum ins Auto und startet nach Beirut in die Sonne.

Vieles an diesem Film ist nicht rund. Die Plot-Wendungen würden eine Zeichentrickfigur aus der Kurve tragen, allein die Annäherung zwischen Vater und Tochter hat ein geradezu kometenhaftes Tempo. Und sentimentale Weisheiten libanesischer Späti-Verkäufer kann man inzwischen auch nicht mehr hören.

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Trotzdem macht diese schmutzige kleine Kiez-Studie (Kamera: Ngo The Chau) viel Vergnügen, schon allein, weil sie mit Stipe Erceg, Tom Schilling, Frederick Lau und Thorsten Merten über ein All-Star-Ensemble verfügt, das den vulgären Witz der Dialoge mit großer Lässigkeit präsentiert. Wenn sich Thorsten Merten als Gefängniswärter mit Nabil bei der Entlassung fotografieren lässt, kommentiert er feinsinnig: "Er war doch mein Längster." Und Emma Drogunova hat genug Lebenshunger für sämtliche müden Gangster Berlins. Als der neu entdeckte Vater plötzlich Traditions- und Besitz-Reflexe zeigt und ihren Freund verscheucht, schnauzt sie ihn an: "Ehre und Stolz? Willst du mich verarschen?"

Kida Khodr Ramadan hat bei "In Berlin wächst kein Orangenbaum" auch Regie geführt. Womöglich liegt es daran, dass man unter dem Rosenwasserduft der Vater-Tochter-Schnulze einen Realismus und eine Härte spürt, die die Straße kennt. Begegnungen mit bitchigen Brandenburgern gehören dazu, die bei "Beirut" erst an Bayreuth und dann an Taschendiebe denken, aber auch die Lügen der eigenen Kiez-Komplizen mit ihrem Bruder-hier-Bruder-da-Gerede.

Das alles sieht man in den Öffentlich-Rechtlichen nicht oft und selten so trocken realistisch. "In Berlin wächst kein Orangenbaum" ist ein Film mit Dreck unter den Nägeln. Für diese Eigenschaft sollten Festivals einen Sonderpreis einrichten.

In Berlin wächst kein Orangenbaum, in der ARD-Mediathek

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