Wer für sich werben will, nimmt normalerweise einen prominenten Fürsprecher in Dienst. Aber als echte linke Zeitung folgt die Junge Welt (jW) natürlich einer dialektischen Logik. "Die Bundesregierung behauptet, die Junge Welt sei verfassungsfeindlich. Begründung: Als marxistisch orientierte Zeitung gehe sie von der Existenz von Klassen in der Gesellschaft aus." So steht es auf dem Werbebanner, das "1000 Abos für die Pressefreiheit" fordert. Jetzt erst recht, lautet das proletarische Motto. Man lässt sich vom System nicht unterkriegen.
Auslöser der trotzigen Werbekampagne ist eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die wissen wollte, warum die Junge Welt Jahr für Jahr im Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz erwähnt wird. Die Zeitung erleide dadurch erhebliche Nachteile. Werbeflächen würden ihr versagt, es gebe Schwierigkeiten mit Druckereien. Und eine Supermarktkette habe versucht, sie aus ihren Filialen zu verbannen.
Laut Ministerium handelt es sich bei der Jungen Welt "um eine eindeutig kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung", deren marxistische Grundüberzeugung sich gegen demokratische Grundprinzipien richte. "Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde." Denn Menschen dürften nicht zum bloßen Objekt degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden. Ein weiteres Indiz gegen die jW: "Oftmals wird positiv Bezug genommen auf die kommunistischen Vordenker." Genannt werden hier Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Friedrich Engels, Karl Marx. Marx hat es denn auch auf das jW-Werbebanner geschafft, ironisch dämonisiert durch einen Augenbalken mit dem Wort "Verfassungsfeind?".
Die Nennung einer Zeitung im Verfassungsschutzbericht ist eine "mittelbar belastende negative Sanktion"
Wäre dies alles, was der Verfassungsschutz zu bieten hat, dann müsste er das Blatt wohl schleunigst aus seinen Berichten streichen. Das jedenfalls lässt sich aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2005 schließen, der in der Antwort erwähnt wird. Die Nennung einer Zeitung im Verfassungsschutzbericht ist eine "mittelbar belastende negative Sanktion" und damit ein klarer Eingriff in die Pressefreiheit, heißt es dort; damals ging es um die sich als rechtskonservativ verstehende Zeitschrift Junge Freiheit. Klar, der Eingriff könnte gerechtfertigt sein - aber dafür reicht nicht einmal Fundamentalkritik. Damals formulierte das Gericht einen Satz, aus dem die Gelassenheit einer gefestigten Demokratie spricht: "Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern."
Ein klein bisschen umstürzlerisch darf so ein Blatt also schon sein, zumindest verbal. Entscheidend, so schrieb das Gericht damals, sei aber das "konkrete Gefahrenpotenzial". Gefahren sieht das Ministerium etwa darin, dass die Zeitung für Aktivitäten des "linksextremistischen Spektrums" mobilisiert. So habe sie den Aufruf einer autonomen Gruppierung zur Teilnahme an einer "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" unter dem Motto "Gegen die Stadt der Reichen" veröffentlicht. Die Demo sollte "die Kämpfe, die in der Stadt stattfinden, auf die Straße bringen". Schon 2018 habe sich die jW dazu bekannt, aktionsorientiert handeln zu wollen. Sie befördere nach eigenem Bekunden "den Austausch über die Möglichkeiten, knechtende Verhältnisse umzustoßen".
Kämpfe, Aktionen, Mobilisierung? Das Verfassungsgericht schrieb in seiner Entscheidung von 2005, dass die Behörden gegen die Ankündigung einer Straftat natürlich einschreiten dürften. Aber ob Kämpfe zwingend mit Gewalttaten und Aktionen mit Rechtsverstößen gleichzusetzen sind? Da würde ein Gericht vermutlich ein paar Nachfragen haben. Gekämpft wird ja um alles, um die deutsche Meisterschaft oder den Wahlsieg.
Wann infiziert ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt und Extremismus die ganze Zeitung?
Heikler ist ein anderer Vorwurf. Die Zeitung veröffentliche regelmäßig Beiträge, in denen das Thema Gewalt als Mittel im politischen Kampf "thematisiert" werde. "Wiederholt finden sich Rechtfertigungen der Anwendung von Gewalt oder zumindest unkritische Darstellungen. Personen, die politisch motivierte Straftaten befürworten, erhalten eine öffentliche Plattform." Genannt werden ehemalige RAF-Mitglieder und ein Interview mit Vertretern der kolumbianischen Guerilla. Zudem würden "einzelne" Redaktionsmitglieder und Autoren dem linksextremen Spektrum zugeordnet. Und schließlich die Rosa-Luxemburg-Konferenz, seit 1996 veranstaltet von der Jungen Welt - auch hier führe meist das linksextremistische Spektrum die Feder. Details hierzu könne man aber "aus Gründen des Staatswohls" nicht nennen - der Verfassungsschutz will sich nicht in die Karten schauen lassen.
Die Frage lautet also: Wann infiziert ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt und Extremismus, das sich in einzelnen Beiträgen oder Autoren manifestiert, die ganze Zeitung? Das Verfassungsgericht war 2005 zurückhaltend, vom Verhalten Einzelner auf das Ganze zu schließen, insbesondere bei Gastautoren. Es bedürfe besonderer Anhaltspunkte, warum aus den Artikeln von Dritten "entsprechende Bestrebungen von Verlag und Redaktion abgeleitet werden können". Zeitungen machten sich nicht zwingend jeden Beitrag zu eigen. "Von der Pressefreiheit ist auch die Entscheidung erfasst, ein Forum nur für ein bestimmtes politisches Spektrum bieten zu wollen, dort aber den Autoren große Freiräume zu gewähren", heißt es in dem Beschluss.
Und wie steht die Junge Welt zur Gewalt? Das Ministerium zieht ein seltsam gewundenes Fazit. "Insofern erweckt die jW nachhaltig den Eindruck, eine mögliche Gewaltanwendung durch solche Personen oder Gruppierungen zu tolerieren." Der Vorwurf lautet mithin nicht, das Blatt befürworte Gewalt. Es erweckt nur den Eindruck, und zwar nachhaltig.
Irritiert über die Antwort war übrigens ein gelegentlicher Autor der Jungen Welt, der gerade ein Buch über die "Ungleichheit in der Klassengesellschaft" veröffentlicht hat. Er heißt Christoph Butterwegge, ist Professor für Politikwissenschaft in Köln und rätselt jetzt, ob ihn das Innenministerium womöglich für einen Verfassungsfeind hält. Wo ihn doch die Regierung sonst durchaus schätzt: Das Bundesarbeitsministerium hat ihn in das Gutachtergremium für den Armuts- und Reichtumsbericht berufen.