Italienisches Fernsehen:Gebrülle auf Augenhöhe

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Wissenschaftler gegen Schamanen? In Italien brachten dubiose Impfgegner monatelang hohe Quoten in den Talkshows - nun regt sich mächtiger Widerstand aus der Fernsehwelt.

Von Oliver Meiler, Rom

In Italien wird man sich dann vielleicht einmal fragen, wie es kommen konnte, dass Fabio Tuiach zum Medienstar wurde. Eingeladen in alle Talkshows, zugeschaltet als Gesprächspartner von Oberärzten aus Intensivstationen, von Virologen und Epidemiologen. Tuiach, 41 Jahre alt, ehemaliger Profiboxer, ist ein Hafenarbeiter aus Triest. 1,88 Meter groß, eindrucksvolle Gestalt, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Als vor einigen Wochen Angestellte des Hafens sich gegen die Einführung des Green Pass wehrten, mit der Blockade der Docks drohten und ihren Protest auch auf die Piazza Unità d'Italia trugen, eine Weile lang das nationale Epizentrum von Zertifikatsgegnern und Impfskeptikern, marschierte er vorneweg und sagte viele merkwürdige Dinge in die Fernsehkameras. Über das Coronavirus als Erfindung und Komplott, über Jesus und die Madonna. Dummerweise war er gerade krankgeschrieben, die Hafenbehörde sollte ihn dafür später entlassen.

Doch Tuiach war jetzt eine öffentliche Figur, und offenbar trug er den Sendern gute Quoten ein. Covid? "Ich habe fast nichts gespürt, das ist nicht mehr als eine Grippe", sagte er mit allgemeingültigem Anspruch, was sich im Frühwinter 2021 wie eine recht bizarre Interpretation der Sachlage anhört. Bekommen habe er das Virus bei den Demonstrationen - nicht etwa weil sich da viele "No Vax" wie er gegenseitig ansteckten: Tuiach ist überzeugt, dass der Staat das Virus dem Wasser beigemischt hatte, mit dem die Protestierenden beworfen wurden. In seinen unzähligen Auftritten am Fernsehen ließ man ihn alle seine Theorien ausbreiten, und in der ganzen Anordnung mutete es so an, als sei das, was er über das Virus und die Krankheit sagte, gleich viel wert wie das, was Ärzte und Wissenschaftlerinnern dazu sagten. Als sei am Ende alles nur ein Wettbewerb der Meinungen.

Die Moderatoren hielten natürlich dagegen, fragten ungläubig nach, manchmal auch einigermaßen empört. Aber da waren die Theorien über "Big Pharma" und die angebliche "Gesundheitsdiktatur", die sonst vor allem in Chatgruppen und in mehr oder weniger großen Blasen in den sozialen Medien kursieren, schon in der Welt, einem Millionenpublikum serviert.

Mentana sagt, er sei stolz, noch nie einen "No Vax" in seine Sendungen eingeladen zu haben

Nun diskutiert Italien darüber, ob solche Persönlichkeiten weiterhin einen Platz auf der Bühne bekommen sollen - oder ob es aus Achtung der Demokratie reicht, wenn man die Positionen dieser Minderheit journalistisch einfängt und ihre Thesen möglichst sachlich analysiert und widerlegt. Tuiach ist ja nicht der einzige. Da gibt es auch noch einen orthodoxen Priester, der behauptet, Impfen sei des Teufels, und darum sei der Papst, der fürs Impfen werbe, ein Satanist. Oder eine Polizeichefin, die sich über Nacht als Einheizerin der Skeptiker auf den Piazze des Landes profilierte, und im Fernsehen einfach mal so behauptete: "Wenn man sonst bei guter Gesundheit ist, hält man dieses Covid gut aus."

Ausgelöst hat die Debatte Enrico Mentana, einer der bekanntesten Journalisten im Land, Chefredakteur und Anchorman der Nachrichtensendungen auf dem privaten Fernsehsender La 7. In einem Zeitungsinterview sagte Mentana, er sei stolz darauf, dass er noch nie einen Wortführer der "No Vax" in eine seiner Sendungen eingeladen habe. "Wir sind mitten in der heißesten Phase der Pandemie", sagte er. "Wenn wir jetzt nicht alle in dieselbe Richtung rudern, kommt eine neue Ansteckungswelle und überschwemmt uns." Und: "Geht es um unsere Gesundheit, können wir nicht zulassen, dass wir im Fernsehen reden, als wären wir in der Bar Sport." Die "Bar Sport" ist Italiens Pendant zum Stammtisch.

Silvio Berlusconi, selbst ein überzeugter Provax, stellte seine Brülltalks "Fuori dal coro" (Aus dem Chor) und "Dritto e rovescio" (Vorhand und Rückhand) auf Rete 4 ein. Aber nur für einen Monat. (Foto: Alessandro Di Meo/dpa)

Vor allem Kolleginnen und Kollegen desselben Senders reagierten pikiert. Fabio Tuiach war schon mal in fast allen Formaten von La 7. Massimo Giletti etwa, der Moderator der lauten Diskussionsrunde Non è l'Arena, hielt Mentana vor, er lasse so nur den Mainstream zu, und das sei nun mal ein Problem.

Monica Maggioni, die neue Chefin des TG 1 auf Rai Uno, der größten Tagesschau im Land, hält es hingegen mit Mentana. "Ich teile jedes Wort", sagte sie, "auch die Leerstellen". Man scherze nicht mit dem Leben. Und darum stellt man auch nicht einen Wissenschaftler einem Schamanen gegenüber. Eine Weile lang sah es so aus, als hätte auch Silvio Berlusconi ein Einsehen und stelle seine Brülltalks Fuori dal coro (Aus dem Chor) und Dritto e rovescio (Vorhand und Rückhand) auf Rete 4 ein. Berlusconi, der selbst an Covid erkrankt war, ist ein entschiedener "Pro Vax". Als er neulich den Booster erhielt, ließ er sich beim Impfen filmen und formte die Hände zum Siegeszeichen. Doch offenbar setzt Berlusconis Mediaset die Programme nur für einen Monat aus, für das Weihnachtsfest, damit auch die Moderatoren etwas Luft holen können. Am Ende sind die Einschaltquoten offenbar doch wichtiger.

Auch sehr beliebt: die Bekehrten und Reumütigen - auch sie bringen Quoten

Unterdessen taucht nun eine neue Art Talkgäste auf: die Bekehrten und Belehrten. Leute, die vor Kurzem noch eingeladen wurden, um ihre wilden Vermutungen zu äußern, sich dann ansteckten und nun Reue zeigen. Unter ihnen ein Hafenarbeiter aus Triest, ein Kollege von Tuiach. Er schaltete sich aus dem Krankenhaus zu, mit Schläuchen in der Nase. "Wir lagen falsch", sagte er und erzählte von seinem starrsinnigen Bettnachbarn, der die Therapien ausschlug: "Der kam hier rein, und dort schoben sie ihn tot aus dem Zimmer." Einen neuen Auftritt hat auch der Arzt, der bis vor Kurzem noch auf allen Kanälen behauptete, Impfstoffe seien in Wahrheit "Abwasser". "Impft euch alle", sagt er jetzt in die Kameras. Offenbar liefern auch diese Gäste ganz ansehnliche Quoten.

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