Wir kriegen euch. Egal wo. Und wenn wir euch nicht kriegen, dann eure Familie, hier in der Heimat. Mit ständigen Drohungen versucht das iranische Regime, kritische Journalistinnen und Journalisten zum Schweigen zu bringen. Innerhalb des Landes sind ihm dabei kaum Grenzen gesetzt. Wer nicht auf Staatslinie bleibt, bekommt die geballte Staatsgewalt zu spüren, verschwindet in Kerkern und landet schlimmstenfalls am Galgen. Außerhalb seiner Landesgrenzen kann der iranische Sicherheitsapparat seine Macht nicht so direkt ausüben. Doch reicht Teherans Einfluss bis nach Europa, bis nach London.
Der private Nachrichtensender Iran International gab gerade bekannt, sein Studio auf Anraten der Londoner Polizei von der britischen in die US-Hauptstadt Washington zu verlegen. Das Medium und zwei Mitarbeitende waren zwar schon in den Monaten zuvor Ziel von Gewaltandrohungen geworden. Doch nun hätte die Londoner Polizei zwei britisch-iranische Berichterstattende informiert, dass jüngere Drohungen "ein akutes, glaubhaftes und signifikantes Risiko für ihr Leben und das ihrer Familien" darstellen.
Anfang Februar verhaftete eine Antiterroreinheit der Polizei schließlich einen Mann in der Nähe des Studios von Iran International in einem Gewerbepark im Westen Londons. Laut Medienberichten handelt es sich um einen 30-jährigen Österreicher, der im Verdacht steht, das Areal in Vorbereitung auf einen Anschlag ausgespäht zu haben. Bei einem ersten Gerichtstermin habe er alle Vorwürfe abgestritten, bis zum nächsten Verhandlungstermin soll er vorerst in Haft bleiben.
Als Reaktion auf die erhöhte Bedrohungslage hat die britische Regierung am Montag zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate den höchsten Diplomaten Irans einbestellt. Man habe klarstellen wollen, dass man "die anhaltenden Drohungen des iranischen Regimes gegen in Großbritannien lebende Journalisten" nicht akzeptiere, sagte Außenminister James Cleverly. Bereits im November war nach Drohungen der iranische Vertreter Mehdi Hosseini Matin vorgeladen worden. Außerdem traf die Polizei spezielle Sicherheitsvorkehrungen, positionierte etwa gepanzerte Fahrzeuge vor dem Büro von Iran International.
"Das Regime ist sehr gut darin, seine Spuren zu verwischen."
15 geplante Anschläge habe man in Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst MI5 seit Anfang 2022 verhindert, heißt es in einer Mitteilung der Antiterrorabteilung der Londoner Polizei, und man werde weiter für Sicherheit sorgen. Doch die Arbeit der britischen Behörden stößt auch auf Kritik. Mahmood Amiry-Moghaddam, Direktor der Nichtregierungsorganisation "Iran Human Rights", unterstellte britischen Offiziellen, vor Irans Führung einzuknicken. "Es ist völlig inakzeptabel, dass das Vereinigte Königreich auf die terroristischen Drohungen Chameneis und der Revolutionsgarden eingeht, indem es eine der wichtigsten Informationsquellen für Iraner schließen lässt."
Iran streitet derweil jegliche Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten im Ausland ab. Die Vorwürfe seien "substanzlos", hieß es im Staatsfernsehen, außerdem hat Iran seinerseits den britischen Botschafter einbestellt. Typisch, sagt Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen. Klare Verbindungen zwischen staatlichen Akteuren und Bedrohungen gegen ausländische Berichterstattende herzustellen, wie es den britischen Behörden im Falle von Iran International scheinbar gelungen ist, seien eher selten. "Das Regime ist sehr gut darin, seine Spuren zu verwischen."
In der Regel ist das auch nicht sonderlich schwierig. Die meisten Drohungen gehen über soziale Medien ein. Fast täglich landen solche Nachrichten in seinem Postfach auf Instagram, erzählte Ahmad Samadi der Süddeutschen Zeitung im Januar. Samadi arbeitet seit 2020 als Journalist für Iran International in Berlin. Mit sexualisierter Gewalt hat man ihm schon gedroht und mit einem Aufenthalt in Evin, Irans berüchtigtster Haftanstalt. Gesichtslose Accounts, die schlimmste Gewaltszenarien entwerfen, das ist die konstante Drohkulisse, die das iranische Regime mindestens duldet. "Exilanten", sagt Christopher Resch, "sind im Netz einem Dauerfeuer durch Bots und regimegesteuerte Accounts ausgesetzt."
Iran verfügt über einen ausgefeilten Zensur- und Spionageapparat. Die Sicherheitsbehörden verfolgen genau, wer im Land mit wem kommuniziert und vor allem wohin. Regelmäßige Telefonate oder Nachrichten ins Ausland nutzen sie oft als Vorwand, um mutmaßliche Oppositionelle in Iran wegen Spionage zu verhaften - oder Angehörige unliebsamer Stimmen im Ausland als Druckmittel zu missbrauchen. Youhanna Najdi, Mitglied der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle, berichtete der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Dezember von verdächtigen Anrufen von Verwandten in Iran. Sie seien von den Sicherheitsbehörden vorgeladen und gedrängt worden, Najdi in einen Hinterhalt in der Türkei zu locken und aufzuhören, kritisch über das Regime zu berichten.
Auch deutsche Behörden sind sich der Drohungen und Beleidigungen gegen Kritiker des iranischen Staates bewusst. Deutsche Journalisten, die viel und kritisch über Iran berichten, seien ebenfalls schon öfter Ziel von Beleidigungen und Drohungen geworden. Aber von einem Fall, in dem hierzulande in jüngerer Zeit iranische Exiljournalisten ernsthaft bedroht worden wären, wisse man nicht. Auch Reporter ohne Grenzen kennt keine Betroffenen.
Wirkung zeigen die Methoden ohnehin nicht, jedenfalls nicht so, wie man sich das in Teheran wünscht. Mahmood Enayat, Geschäftsführer von Iran International, ließ in der Mitteilung zum Umzug nach Washington keinen Zweifel daran, dass seine Redaktion weiter kritisch berichten wird. "Wir weigern uns, durch diese feigen Drohungen zum Schweigen gebracht zu werden. Wir werden weiter senden."