Hörspiele:Der Platz im Leben

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Ein Hörspiel-Doppel: Der Dramatiker Nis-Momme Stockmann zwingt seine Figuren zu einer radikalen Selbstwahrnehmung.

Von Stefan Fischer

Zwei Brüder, Falk und Matze. Hängt man beim Namen des älteren einen Buchstaben an, ist er allein dadurch bereits ganz gut charakterisiert, als Falke. Und tauscht man wiederum bei Matze einen Laut aus, weiß man auch über ihn, die Mietze, eine Menge - sowie über das Verhältnis der beiden Männer zueinander. Falk hat die Lufthoheit, er scheucht seinen Bruder dorthin, wo er ihn haben will.

Nach Japan schickt der Dramatiker Nis-Momme Stockmann die beiden im Stück Das Imperium des Schönen, das Oliver Sturm (Regie) und Katarina Agathos (Dramaturgie) für den BR als Hörspiel adaptiert haben. Mit dabei sind Falks Frau Adriana, deren zwei Teenager-Söhne sowie Maja, Matzes Freundin. Die beiden sind noch nicht lange zusammen. Falk hat alle eingeladen zur Reise. Und erwartet nun von ihnen - ja, was eigentlich?

Maja ist die Neue in dieser Gruppe, sie hinterfragt die innerfamiliären Abhängigkeiten, benennt Manipulationen und trotzt Falk ihn in seiner Gier nach Bedeutsamkeit, seinem Hang zur Dauerregulierung, seinem Allwissenheitsanspruch. Bis zum Schluss - mit seinem irritierenden, offenen Ende - bleibt jedoch in der Schwebe, wie sehr Falk das aus der Bahn wirft. Oder ob er sich Majas Aufbegehren nicht doch perfide zunutze macht, es womöglich einkalkuliert hat.

Je mehr eine Figur zu verlieren hat, desto angreifbarer wird sie.

Die Selbstverständlichkeit alter Rollenbilder ist längst dahin. Nis-Momme Stockmann entwirft in seinen Texten Figuren, die das oft begrüßen - aber eben auch erkennen müssen, dass der Verlust dieser vermeintlichen Selbstverständlichkeiten einen erst einmal ratlos dastehen lässt. Der Autor zwingt seine Figuren zu einer radikalen Selbstwahrnehmung auf ihrem Weg, einen Platz im Leben zu finden.

Das gilt auch für das zweite Hörspiel von ihm, das im April urgesendet wird, produziert vom SWR: Das Fenster. "Die ganze Welt ist voll mit Arschlöchern", poltert Greta. Das gelte speziell für alle Männer, aber nicht nur für sie. Dass ihre beste Freundin heiratet, und dann auch noch einen Kerl, der häkelt, treibt sie in die Verzweiflung: Denn eine Heirat, davon ist sie überzeugt, gehe einher mit dem Verlust der kritischen Distanz.

Nur: Wie will man ein Leben führen, wenn man zu allem auf Distanz geht? Iris Drögekamp hat den Text inszeniert, mit Birthe Schnöink in der Haupt- und Ole Lagerpusch sowie Jens Wawrzeck in Nebenrollen. Es ist die Geschichte einer Wandlung, eines Distanz- und damit Kontrollverlustes - der Greta in eine existenzielle Krise stürzt. Nicht, weil sie ihre Beziehung nicht vor sich rechtfertigen kann. Sondern weil sie plötzlich etwas zu verlieren hat.

Das Imperium des Schönen , Bayern 2, 2. April 2022, 15.05 Uhr.

Das Fenster , SWR 2, 24. April 2022, 18.20 Uhr.

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