Hörspiel "Liebes Arschloch":Briefbomben

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)

Rebekka David hat den Bestseller "Liebes Arschloch" von Virginie Despentes als Hörspiel inszeniert. In dem wird der heftige Streit um Machtmissbrauch noch unmittelbarer.

Von Stefan Fischer

Lieber Volltrottel? Nein. Liebe Wurst? Auch nicht. Liebes Arschloch? Ja genau, das ist es. So wird sie ihn nennen. Und mit einer Taube vergleichen, die ihr im Vorbeifliegen auf die Schulter kackt. "Das ist dreckig und sehr unangenehm." Dann wünscht sie dem Kerl noch, dass seine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und er sie sterben sehen muss, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.

Rebecca Latté, eine berühmte Schauspielerin, teilt brutal aus. Gegen Oscar Jayack, einen kaum weniger bekannten Schriftsteller, der sich in einem Instagram-Post im Ton vergriffen hat. Er keilt wiederum zurück. Die beiden kennen sich aus ihrer Kindheit, Oscars Schwester Corinne war eine Freundin von Rebecca. Jayack ist überdies gerade zu einem MeToo-Fall geworden, sein übergriffiges Verhalten hat eine Mitarbeiterin des Verlags, der seine Bücher publiziert, traumatisiert und zu einer radikalen Feministin gemacht. Jahre später wird die Missbrauchs-Angelegenheit nun publik.

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Virginie Despentes hat ihren Bestseller Liebes Arschloch als Briefroman angelegt. Subgenre: Briefbombenroman. Rebecca klagt an. Oscar verteidigt sich. Sie beleidigen, kränken und verletzen einander. Lassen aber nicht voneinander, bleiben immerfort in Kontakt. Auch Zoé, die einstige Verlagsmitarbeiterin, und Corinne werden Teil dieser Auseinandersetzung.

Rebekka David hat Liebes Arschloch nun fürs Radio bearbeitet und als zweiteiliges Hörspiel inszeniert. Gesprochen bekommen die Posts, Blogeinträge und Textnachrichten eine größere Unmittelbarkeit. Und es wird noch offenkundiger, dass die Figuren nicht wirklich miteinander reden. Sondern jede für sich monologisiert. Pamphlete verfasst, Wutausbrüche hat, sich in Weinerlichkeit verliert.

Die Empörung ist groß, auf jeder Seite. Daraus erwächst Hass aufeinander. Nur: Der löst das Problem nicht. Sondern führt eigentlich nur zu einem Leiden an der eigenen schlechten Laune. Ist es möglich, als Gruppe, als Gesellschaft, Machtmissbrauch zu bekämpfen, ohne sich darüber selbst zu zerfleischen? Bei aller Deftigkeit der Auseinandersetzung, die sich auf die Hörspiel-Adaption überträgt, ist Despantes ernstlich daran gelegen, diese Debatte produktiv zu führen. Und das geht, davon ist die Autorin offenkundig überzeugt, eben nur in aller Deutlichkeit. In diese Balance aus Unerschrockenheit und einer zumindest in Teilen vorhandenen Zugewandtheit findet auch das Hörspiel.

Liebes Arschloch , SWR 2, 1. Oktober, 18.20 Uhr. Teil 2: 3. Oktober, 18.20 Uhr.

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