"Hart aber fair":Ein cooler Professor bringt Malu Dreyer in Bedrängnis

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Frank Plasberg ließ über die Impfpflicht diskutieren. (Foto: Stephan Pick/ARD)

Erstens, zweitens, drittens, viertens: Im Streit um die Impfpflicht ist politische Führung gefragt - aber auch bei Plasberg flüchten die Ampelparteien ins Wolkige.

Von Josef Kelnberger

Kaum zu glauben, aber man kann bei einer Corona-Talkshow tatsächlich noch was lernen. Zum Beispiel dies: Historiker können ziemlich coole Socken sein.

Da steht also Prof. Dr. Malte Thießen, der die Geschichte der Impfpflicht erforscht hat, im aufdringlich rot dekorierten Studio von "Hart aber fair" und schmeißt die Show fast ganz allein. Moderator Frank Plasberg hat sichtlich sein Vergnügen an diesem Mann. Mitgebracht hat der Professor mit der frechen Tolle eine Karikatur aus dem Jahr 1802, sie illustriert die damalige Angst vor Nebenwirkungen der Pockenschutzimpfungen: Den Impflingen wachsen Beulen, aus denen ganze Kühe schlüpfen. Thießen macht sich also lustig über Impfgegner - und dennoch hält er eher wenig von einer Corona-Impfpflicht.

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Erstens, referiert der Professor, würde eine staatlich verordnete Pflicht die Impfgegner mobilisieren und die Leute verschrecken, die Angst vor der Spritze haben. Zweitens würden diese Leute lieber Strafen zahlen als einzuknicken. Drittens werde, was Impfausweise betrifft, das Fälschungswesen florieren. Und viertens sei die Impfpflicht Ausdruck einer Kultur des Misstrauens, die nicht zu Deutschland passe. Seine These: "Die Impfpflicht ist immer ein Testfall für die Vertrauenswürdigkeit politischer Einrichtungen." Und damit hat die Politik das Wort.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sitzt für die SPD im Studio, für die FDP hält die Bundestagsabgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus die Stellung. SPD und FDP, man ahnt schon das Problem: Die Ampel sendet unterschiedliche Signale aus.

Dreyer fürchtet "Totalaufstand" in der Gesellschaft

Die Sozialdemokratin Dreyer hat einen besonders schweren Stand. Sie fürchtet einen "Totalaufstand" in der Gesellschaft", sollte man im Herbst erneut gezwungen sein, Freiheitsrechte einzuschränken. Obwohl sie vor einigen Monaten noch strikt gegen eine Impfpflicht war, hält sie diese nun für die letzte Chance, die nötige Grundimmunisierung zu erreichen. Der Epidemiologe Timo Ulrichs assistiert ihr: Die "Bratwurst" als Anreiz zum Impfen habe ja ganz offensichtlich nicht ausgereicht.

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Die Liberale Aschenberg-Dugnus glaubt natürlich über Bratwürste hinaus an die Einsichtsfähigkeit von Menschen. An ihrer Seite weiß sie den Journalisten Michael Bröcker. Die beiden befürchten, dass in der jetzigen Phase der Pandemie, in der viele Menschen die scheinbar harmlose Omikron-Variante für eine Alternative zur Impfung halten und niemand weiß, welcher Impfstoff im Herbst gegen welche Variante schützen wird, eine Impfpflicht mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Um den Koalitionsfrieden zu wahren, flüchten Dreyer und Aschenberg-Dugnus gemeinsam in wolkige Sphären. Es sei doch die "Königsdisziplin der Demokratie", wenn der Bundestag die Führungsrolle in einer ethisch so schwierigen Frage übernehme, behauptet Dreyer; so eine dreistündige Orientierungsdebatte im Parlament würden die Menschen doch gerne anhören, behauptet Aschenberg-Dugnus. Man muss nicht mal sonderlich sarkastisch veranlagt sein, um das für eine billige Ausrede zu halten. Kanzler Olaf Scholz hat in dem Punkt die Koalition nicht im Griff.

Noch eine Lehre aus dieser Talkshow: Wer jetzt Mehrheiten für eine allgemeine Impfpflicht organisieren will, muss politische Führung zeigen. Erstens, zweitens, drittens, viertens. Und zwar ganz schnell, bevor die Omikron-Welle verebbt.

Josef Kelnberger arbeitet seit Sommer 2021 für die SZ als Korrespondent in Brüssel. Seine Lieblingssendungen dort sind flämische Talkshows: Er versteht kein Wort, fühlt sich aber gut unterhalten. Mit deutschen Talkshows geht es ihm leider oft umgekehrt. (Foto: Bernd Schifferdecker)
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