Britischer TV-Sender:Irre Tage

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Aufbau- und Einrichtungsarbeiten der Büros und Studios für den neuen britischen Fernsehnachrichtensender GB News in Paddington. (Foto: Kirsty O'connor/picture alliance/dpa/PA Wire)

"GB News" will im Vereinigten Königreich den sogenannten kleinen Leuten eine Stimme geben. Doch der Auftakt verläuft dilettantisch.

Von Michael Neudecker, London

Rechts oben im Bild taucht ein Connor auf, er trägt einen biederen Anzug und steht reportersteif da, das Mikrofon bereit, er soll etwas sagen zur Lage in Nordirland: Connor, sagt die Moderatorin auf der linken Seite des Bildschirms, bitte. Connor blickt ernst, er beginnt zu reden, aber zu hören ist nichts als wussschhh, cchhrrschh, der Wind ist zu stark und das Mikrofon zu schwach. Sorry Connor, sagt die Moderatorin nach einer Weile, aber wir können dich nicht hören, sorry, wir müssen leider abbrechen, und weg ist Connor. Die Moderatorin und ihr Kollege im Studio lachen, peinlicher Moment irgendwie, aber, ach, weiter geht's, nächstes Thema: Hochzeiten.

GB News heißt der Sender, der seit etwas mehr als einer Woche im britischen Fernsehen empfangbar ist, und so wie an diesem Nachmittag ist es oft, technisch eine Mischung aus Schüler- und Grundschülerfernsehen, inhaltlich bisweilen eine Mischung aus Daily Mail und Sun, Corona-Regeln hier, Brexit dort, illegale Einwanderung da, dazwischen traurige Hochzeitsplaner und feiernde Drittligafußballer, alles brutal rast- und mithin gedankenlos hintereinander über den Äther geschossen. Ein paar Tage GB News schauen macht einen irre.

Allein die nicht enden wollenden technischen Pannen, falsch geschriebene Namen, sogar von eigenen Reportern, Einspieler, die zu früh kommen, zu spät oder gar nicht, verwackelte Bilder von Interviewpartnern, die in einem Auto sitzen, in einer Art begehbarem Kleiderschrank oder, Tatsache, in einem Aufzug stehen. Der Twitter-Account "GB News Fails" hat schon mehr als 73 000 Follower. Mehr als GB News derzeit im Durchschnitt anschauen.

Technische Pannen, falsch geschriebene Namen, verwackelte Bilder

Hinzu kommen faktische Fehler, wobei ein gewisser Hang zur gelegentlichen Faktenferne immer mitschwingt, wenn sich ein Medium so populistisch verkauft wie GB News: als Sender für die Leute, die bei den bösen Großen kein Gehör finden. Anders gesagt: für Briten, die vor allem an ihr Land denken, das Frühstücksfernsehen heißt nicht ohne Grund The Great British Breakfast. Wäre Boris Johnson ein TV-Sender, er wäre exakt wie GB News.

Das Publikum war auch dank Johnson schon vor dem Sender da, der mitgegründet wurde von Andrew Neil, dem früheren Chefredakteur der Sunday Times und Moderator der BBC. Neil gilt einerseits vielen als bester politischer Interviewer des Landes, andererseits steht ihm der Furor schon ins 72-jährige Gesicht geschrieben. GB News soll, so sagte es Neil in seiner Ansprache am ersten Tag, ein Sender sein, der die Themen aufgreife, die in den anderen nationalen Medien kein Gehör fänden, weil diese viel zu regierungstreu seien oder zumindest hart links. 336 000 Menschen schauten da zu, das war eine beeindruckende Auftaktquote, die der Sender bislang allerdings nicht mehr annähernd noch mal erreichte.

Gerade in Großbritannien eine Lücke im Medienspektrum auszumachen wirkt zunächst absurd, kaum eine Nation hat eine derart vielfältige überregionale Medienlandschaft. Im rechten Flügel aber meint Neil noch eine Nische erkannt zu haben, und im von Johnson-Populismus regierten Brexit-Britain mag das sogar zutreffen. An seiner politisch rechten Ausrichtung lässt GB News jedenfalls keinen Zweifel. Und wenn Neil in seiner Eröffnungsrede betonte, man wolle keine Verschwörungstheorien verbreiten, so ist das nicht bei jedem seiner Moderatoren angekommen. Mehrere Firmen, darunter der deutsche Cremefabrikant Nivea, haben ihre Werbespots für den Sender nachträglich sperren lassen, woraufhin Neil in seiner Sendung drohte, sein Publikum zum Boykott dieser ihn boykottierenden Firmen aufzurufen.

Das Programm besteht ausschließlich aus Anchors, die meist auf der immer selben braunen Ledercouch im etwas wirr anmutenden Studio sitzen, mit Glastüren zu Räumen, in denen ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Es wird den ganzen Tag geredet, ausschließlich geredet, Suggestivfragen und Meinungsmache in Dauerschleife. Alastair Stewart etwa, einer von mehreren bekannten älteren weißen TV-Journalisten, die der Sender neben ein paar jüngeren, auch schwarzen Frauen einkaufte, hatte am vergangenen Wochenende einen jungen Mann namens Sohail Ahmed zu Gast, der als Zwölfjähriger nach Großbritannien flüchtete, illegal, wie Stewart immer wieder mal betonte, und sich durchgekämpft hat: Heute ist er offenbar ein erfolgreicher Geschäftsmann. Im Interview auf der braunen Couch lobt Stewart seinen Gast zwar wortreich, schließt dann aber die stets gleiche Frage an, auf verschiedene Arten formuliert: Können Sie verstehen, dass manche Bürger der Meinung sind, jemand wie Sie sollte gar nicht erst hier sein?

Irgendwann schaut Sohail Ahmed etwas irritiert, er antwortet sachlich, dass es doch wichtig sei, gerade Kindern eine Chance zu bieten, die sie woanders nicht bekämen, denn dann würden sie eines Tages dem Land so vieles zurückgeben, wie man bei ihm ja sehe. Thank you for your time, sagt Alastair Stewart da schnell, und weg ist Sohail Ahmed, nächstes Thema: Mietpreise.

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