Französische Fernsehserie:Schmutziger als jede Fiktion

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Die Widersacher Rickwaert (Kad Merad) und Laugier (Niels Arestrup) in "Baron Noir". (Foto: KWAI/Pictanovo/Sony Channel)

Vergessene Versprechen, Verrat und aufgestochene Autoreifen: Die Serie "Baron Noir" basiert auf französischen Politik-Skandalen. Überholt werden die nur vom aktuellen französischen Wahlkampf.

TV-Kritik von Nadia Pantel

Ein Sozialdemokrat besucht auf dem Höhepunkt seines Wahlkampfs streikende Fabrikarbeiter. Später, als Präsident, will er sich an die Versprechen, die er ihnen gemacht hat, nicht mehr erinnern. Ein Präsidentschaftskandidat lässt sich jahrzehntelang von einem Parteifreund unterstützen, nur um diesen dann ungerührt fallen zu lassen, als er lästig wird. Ein ehrgeiziger Nachwuchspolitiker zersticht seinem Lehrmeister die Autoreifen, weil er ihm dann einen Platz auf dem Beifahrersitz anbieten und in seine Nähe kommen kann.

Jede dieser Szenen ereignet sich in der französischen Fernsehserie Baron Noir. Und jede von ihnen hat ihr reales Vorbild in Paris. Als die acht Episoden von Baron Noir im Frühjahr 2016 in Frankreich erstmals ausgestrahlt wurden, stürzten sich dortige Zuschauer und Journalisten in die Fleißarbeit: Auf welchen politischen Skandal, welchen Verrat, welche Mauschelei spielen die Drehbuch-Autoren wann an? Die Rechercheergebnisse füllen Seiten und erinnern noch einmal ausführlich an die Skrupellosigkeit führender Politiker, inklusive Noch-Präsident François Hollande.

Von der politischen Realität überholt

Ein Jahr nach der Erstausstrahlung kommt die Serie nun ins deutsche Fernsehen. Und sie wird von der politischen Realität überholt. Der aktuelle französische Präsidentschaftswahlkampf ist schmutziger als die Fiktion der Fernsehmacher. Gegen den konservativen Kandidaten François Fillon ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenso wie gegen seine rechte Konkurrentin Marine Le Pen. Und gegen den liberalen Herausforderer Emmanuel Macron läuft eine Schmutzkampagne, die auch vor Privatestem nicht Halt macht. Eric Benzekri, dem Ko-Autor des Drehbuchs von Baron Noir, ist in Frankreich nun folglich vom Serienmacher zum politischen Kommentator aufgestiegen. "In dieser Präsidentschaftswahl erleben wir die Auflösung des politischen Systems, so wie wir es auch in unserer ersten Staffel gezeigt haben", sagte Benzekri jüngst in einem Interview mit Le Monde. Auf diese Auflösung werde unvermeidlich ein Wiederaufbau folgen, nur wie der Aussehen könne, weiß auch Benzekri nicht: "Da sind wir zur Zeit noch in der Grauzone."

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Rufmord, Schmiergelder, Gewalt, Lügen. Wer sich auf die Abgründe politischer Machtkämpfe konzentriert, hat schnell genug Material für einen Fernsehabend zusammen. Dazu noch prominente Hauptdarsteller engagieren und per Drohne immer wieder Rathaus oder Parlament von oben filmen lassen, fertig ist der Erfolg. Das hatten sich wenigstens die Macher des Polit-Thrillers Marseille gedacht. Die Serie läuft seit knapp einem Jahr auf Netflix und hätte eigentlich das französische House of Cards werden sollen. Immerhin schob kein anderer als Ex-Obelix Gérard Depardieu seinen Bauch als Bürgermeister von Marseille durchs Bild. Es wurde gekokst und gemordet und Menschen hatten an überraschenden Orten mal Sex, mal Ideen für eine politische Intrige, mal beides. Und die französischen Zuschauer? Waren genervt und gelangweilt. Marseille floppte. Stattdessen wollten jeweils gut eine Million Menschen die Folgen von Baron Noir sehen.

Genug Menschlichkeit, dass er sich vor sich selber fürchten darf

Dass Baron Noir sich elegant an Marseille vorbei nach vorne geschoben hat, liegt möglicherweise daran, dass die Serie nicht nur auf Dauerkokserei verzichtet, sondern auch auf Zynismus. Die Handlung von Baron Noir kurz gesagt: Der sozialistische Bürgermeister von Dunkerque, Philippe Rickwaert, startet einen Rachefeldzug gegen seinen ehemaligen Mentor und Polit-Freund Francis Laugier, der ihn fallen ließ, um Präsident zu werden. Rickwaert (Kad Merad) ist getrieben, intrigant und gewalttätig. Sein Widersacher Laugier (Niels Arestrup) ist selbstgerecht, elitär und frei von Rückgrat. Und dennoch spürt man, dass es beiden irgendwann einmal nicht nur um Macht, sondern um die Sache gegangen sein muss. Ihr politischer Kampf ist ihnen ein Anliegen, nur betreiben sie ihn schon so lange, dass er ihnen zum persönlichen Kreuzzug geriet. Die Drehbuchautoren lassen ihrem polternden Helden Rickwaert noch genug Menschlichkeit, dass er sich manchmal vor sich selber fürchten darf.

Und während die zwei Machtmänner einander in Stücke hauen, baut Baron Noir beinah nebenbei neue Heldinnen auf. Sowohl Bürgermeister Rickwaert als auch Präsident Laugier vertrauen auf den unermüdlichen Fleiß und die Schnelligkeit ihrer Beraterinnen. Kaum ist Laugier in Bedrängnis, ruft er "Amélie!" herbei, die ihn mit "Monsieur le Président" ansprechen muss. Und auch für Rickwaerts Assistentin ist der Alltag eine ermüdende Mischung aus Demütigung und Durchbeißen. Zum Ende, das verrät nicht zu viel, verbünden sich diese beiden Frauen. Baron Noir ist auch deshalb sehenswert, weil es sich bei aller Düsternis Hoffnung erlaubt.

Baron Noir , Sony Channel, donnerstags, 21.05 Uhr.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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