Flüchtlingsdebatte:Merkel ist nicht schuld an den Anschlägen - sondern die Täter

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Im sächsischen Bautzen ging eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Flammen auf. (Foto: dpa)

"Spaltet Merkel das Land?", fragt Sandra Maischberger nach den Übergriffen gegen Flüchtlinge in Clausnitz und Bautzen. Ein gefährlicher, aber in Talkshows leider geläufiger Ansatz.

Kommentar von Hannah Beitzer

Eigentlich sollte dieser Text eine TV-Kritik zur gestrigen Talkrunde von Sandra Maischberger werden. Das Bemerkenswerte an der Sendung lag aber diesmal nicht so sehr darin, was die Gäste sagten - sondern im Ansatz der Sendung selbst. "Hass auf Flüchtlinge, Regierung zerstritten: Spaltet Merkel das Land?", fragte die Redaktion als Reaktion auf die jüngsten Ausschreitungen vor Flüchtlingsheimen in Clausnitz und Bautzen. Und: "Hat Merkels Koalition für eine Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung gesorgt?"

Ernsthaft? Das fällt der Redaktion ein, wenn sie an die Bilder aus Clausnitz von weinenden Flüchtlinge, eingepfercht in einem Bus, denkt? An die brennende Unterkunft in Bautzen, davor die johlende Menge? Gäbe es da nicht Fragen, die näher liegen? Zum Beispiel: Warum tun sie diese Dinge? Schämen sie sich nicht? Oder, wie es eine Phoenix-Runde am Dienstag tat: "Wie rassistisch ist Deutschland?"

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Koalitions-Krach interessiert mehr als Übergriffe

Die Frage, ob Merkel das Land spaltet, führt hingegen direkt zu einer verlockend einfachen Erklärung: Für die Radikalisierung des sächsischen Mobs ist die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin verantwortlich. Die Maischberger-Runde diskutiert damit entlang der Argumentationslinie vieler Pegida-Pöbler, die ihre menschenverachtenden Worte und Taten als Notwehr gegen "die da oben" rechtfertigen.

Wobei es bezeichnend ist, dass die Talkrunde fast 50 Minuten braucht, bis sie überhaupt zu den Zuständen in Sachsen kommt. Davor geht es um Grenzzäune, um Syrien, um den Streit in der Koalition. Die Diskutanten sind praktischerweise aufgeteilt in "Merkel-Fans" (Schauspieler Jan Josef Liefers und CDU-Vize Armin Laschet) und Merkel-Gegner (CSU-Mann Peter Ramsauer und der ehemalige Bild-Chef Hans-Hermann Tiedje).

Nach 50 Minuten tritt René Jahn auf, ein Mitbegründer von Pegida, der sich mit der Führung der radikalen Bewegung überworfen hat - aber trotzdem weiter deren Demonstrationen besucht. Er sagt den bemerkenswerten Satz: "Es gibt im Moment keine andere Möglichkeit, seinen Protest auf der Straße zu zeigen." Es wäre schön gewesen, wenn ihm an dieser Stelle jemand erzählt hätte, dass es in den vergangenen Jahrzehnten viele Demonstrationen gegen die Politik gegeben hat, die ohne Hetzparolen gegen Minderheiten und Gewalt gegen Journalisten auskamen. Die konkreten Übergriffe vom Wochenende kamen im Rest der Sendung nur in Nebensätzen vor. Stattdessen ging es oft um die Ängste der unverstandenen Bürger.

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Der Maischberger-Ansatz ist allerdings nur das jüngste Beispiel für den seltsamen Umgang deutscher Talkrunden mit Anschlägen auf Flüchtlingsheime. Anfang Februar rechnete zum Beispiel das ARD-Magazin Monitor vor: Bereits elfmal sei bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2016 die Angst der Deutschen vor den Flüchtlingen Thema in Talkshows gewesen. Aber Anschläge auf Flüchtlingsheime, die es seither beinahe täglich gebe, kein einziges Mal.

Woran liegt das? "Wahrscheinlich hat es vor allem damit zu tun, dass die Ängste der Deutschen schlicht populärer sind als die Ängste von Flüchtlingen", mutmaßte Monitor-Moderator Georg Restle. Das ist ein Vorwurf, der die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender häufig erreicht - und häufig zu recht. Im Bemühen, den Zuschauern zu gefallen, traue man sich nicht, sie herauszufordern, vielleicht auch einmal zu überfordern, vor den Kopf zu stoßen.

Sandra Maischbergers Sendung passt leider gut in dieses Schema. Statt die Frage zu stellen "Woher kommt rechte Gewalt, was hat sie mit uns allen zu tun und was können wir dagegen machen?", fragt sie schon wieder: "Hat Merkel ein Problem?". Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist zweifellos diskussionswürdig. Nur ist die Kanzlerin nicht verantwortlich für die Taten in Sachsen. Das sind allein die Täter.

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Wer denen ausgerechnet in der Woche nach den Übergriffen zur Erklärung das Bild einer Kanzlerin anbietet, die von Berlin aus unbescholtene Bürger aus der vieldiskutierten Mitte der Gesellschaft in Richtung rechter Rand schubst ("Merkel spaltet"), macht es ihnen zu leicht. Erst recht, da die Theorie vom unpolitischen Bürger, der über Nacht zum Brandstifter und Hetzer wird, ohnehin wacklig ist, wie jüngst Recherchen von Zeit Online zeigten.

Darauf macht bei Maischberger die bayerische SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen aufmerksam: "Ich finde das Circus-Maximus-mäßig, wenn man sagt: Wir stellen die Kanzlerin in die Mitte. Und die muss das jetzt lösen." Genau so aber ist die Sendung konzipiert. "Sie ist nun mal die Kanzlerin und gibt die Richtung vor", begründen die Verantwortlichen der Sendung gegenüber der SZ dieses Vorgehen.

Merkel als Blitzableiter

Maischberger ist allerdings nicht die einzige, die sich auf Merkel einschießt. Spiegel-Redakteur Nils Minkmar schreibt über Merkel: "An ihr arbeiten sich alle ab. Voller Angstlust wird der Putsch gegen sie beschworen, ihr Rücktritt gefordert, man droht mit Klage, prophezeit ihr Ende und schreibt ihr die Verantwortung für tatsächliche und erwartete Veränderungen zu." Merkel ist an allem schuld, gleichzeitig soll sie alles lösen können. Minkmar zufolge dient sie einer gereizten Bürgerschaft als Blitzableiter. Sie wünsche sich einen Befreiungsschlag, den eine nationale Regierung allein in Zeiten globalisierter Probleme gar nicht leisten könne.

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Zu beachten ist natürlich auch, dass die dahinterliegende Wahrnehmung der Kanzlerin ins Positive verkehrt ihrer Partei bis zur Flüchtlingskrise ziemlich nützlich war: Merkel als Kümmerin, die über den Dingen steht, im Alleingang Deutschland und Europa rettet. Auch das ein unrealistisches Bild, das den Bürger letztendlich von aller politischen Verantwortung, aber auch von allen Einflussmöglichkeiten befreit. Ein Bild, das wir endlich beerdigen sollten.

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