Eurovision Song Contest:Russlands kleines Coming-out

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Ziemlich angezogen präsentiert Lasarew seinen Beitrag in Stockholm zum Halbfinale. (Foto: AP)

ESC-Favorit Sergej Lasarew zeigt nicht nur gerne sein Sixpack. Er hat auch eine klare Meinung zur homophoben Einstellung der russischen Regierung.

Von Antonie Rietzschel

Ein Mann, der mit geschlossenen Augen den Kopf an die Schulter eines anderen Mannes legt. "Wo bist du", singt er dabei voller Sehnsucht. Ein Jüngling, der im Park mit einer Blondine knutscht, die sich später als Mann herausstellt. Auch eine Sex-Szene mit den beiden wird angedeutet. In den Neunzigerjahren hatte Russland sein großes Coming-out, zumindest in der Musik. National bekannte Bands wie Rruki Wwerch oder Oscar zeigten in Videoclips offen die gleichgeschlechtliche Liebe von Männern und Frauen (mehr dazu hier). Auch im russischen Fernsehen.

Undenkbar wäre das heute. Das Propagandagesetz hat dazu geführt, dass sich viele Homosexuelle sogar in Großstädten wie Moskau oder St. Petersburg nicht mehr trauen, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten, aus Angst vor Beschimpfungen, Prügeln oder sogar Folter. Selbst eine so bekannte Sängerin wie Zemfira, die mit einer Schauspielerin liiert sein soll, würde sich nicht offen dazu bekennen. Dabei hatte sie 2011 noch bei einem Konzert gesungen: "Ich bin deine Frau, du bist meine Frau". Ihre Fans feierten sie dafür.

Da grenzt es zumindest an ein kleines Coming-out, was der russische Kandidat für den Eurovision Song Contest, Sergej Lasarew, von sich gibt. Angesprochen auf die Situation von Homosexuellen in seinem Land, sagte der 33-Jährige: "Homosexuelles Leben existiert in Russland, das ist kein Geheimnis. Wir sind ein modernes Land, alle Städte haben eine Homosexuellen-Szene, wir haben Clubs - man kann sie googeln." Russland hat von jeher ein schwieriges Verhältnis zum Eurovision Song Contest,. Geliebt von der LGBT-Szene (lesbian, gay, bisexual, transgender), wird er von russischen Politikern immer wieder verteufelt. Nach dem Sieg von Conchita Wurst vor zwei Jahren hieß es, der ESC sei eine "Sodom-Show".

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Jamala singt in Stockholm ein Lied über die Krim - und liefert sich damit ein direktes Rennen gegen den russischen Kandidaten. Aber auch eine Australierin könnte den europäischen Wettbewerb gewinnen.

Sergej Lasarew gilt als einer der Favoriten der diesjährigen Veranstaltung. Schon seit langem träumt er davon, teilnehmen zu können. 2008 verlor er bei der Vorauswahl in Russland gegen Dima Bilan, der mit einem Geiger und einem Eiskunstläufer zum internationalen Gesangswettbewerb antrat - und gewann.

Lasarew versucht es ebenfalls mit einer Schnulze. "You Are the Only One" erinnert zwar mit seinen Elektrobeats an den Eurodance der Neunzigerjahre, gleichzeitig verzehrt sich der Sänger aber nach seiner großen Liebe. Die ist im dazugehörigen Video eine Schönheit mit hohen Wangenknochen und langem braunen Haar. Lasarew selbst präsentiert dazu sein Sixpack.

Kritik an homohoben Kurs der Regierung

Ob er eigentlich Männer mag, darüber ist nichts bekannt. Dafür seine Haltung zum homophoben Kurs der Regierung. Vor drei Jahren, kurz nachdem Putin das Propagandagesetz verabschiedet hatte, beschrieb Lasarew die Entscheidung auf seiner Facebookseite als einen "Albtraum": "Es ist schrecklich beängstigend und dumm, dass Russlands Anführer die Bürger dieses Landes aufeinander hetzen, egal welcher ethnischen Gruppe sie angehören oder welche sexuelle Orientierung sie haben." Die Regierung rief er auf, zur Besinnung zu kommen.

Auch nach der Annexion der Krim teilte Lasarew nicht die Meinung vieler Russen: Die ukrainische Halbinsel gehöre nicht zu Russland, so Lasarew in einem Interview. Er selbst habe Auftritte anlässlich der Feierlichkeiten abgelehnt. Mit seiner Haltung sorgt der Sänger dafür, dass der ESC durchaus politisches Gewicht bekommt. Flankiert wird er dabei von der Kandidatin aus der Ukraine. Die Sängerin Jamala besingt in ihrem Lied die Deportation der Krimtataren unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin.

Aufgrund seiner Sympathie für die LGBT-Szene und seiner Haltung im Ukraine-Konflikt musste sich Sergej Lasarew Kritik in der Heimat anhören. Eine der Regierungspartei "Einiges Russland" nahestehende Jugendorganisation warf ihm vor, zu vergessen, aus welchem Land er komme.

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