CNN+ wird eingestellt:"Einzigartige Scheiß-Situation"

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Werbung für CNN in New York: Der News-Fernsehsender machte 2022 zwar 750 Millionen Dollar Gewinn, steckt aber trotzdem tief in der Identitätskrise. (Foto: Spencer Platt/AFP)

Warum der amerikanische Streamingdienst CNN+ gerade mal einen Monat überlebt hat.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Das Streamingportal CNN+ wird zum 30. April eingestellt, nur einen Monat nach dem Start. Chris Licht, der künftige Chef des Kabel-News-Senders CNN, sagte in einem Meeting mit CNN+-Mitarbeitern: "Es ist nicht euer Fehler, dass euch der Teppich unter den Füßen weggezogen wird." Er nannte die Lage eine "einzigartige Scheiß-Situation". Eine Tonaufnahme dieses Meetings ist der New York Times zugespielt worden. Die Frage ist: Warum passiert das, angesichts geplanter Investitionen in Milliardenhöhe?

Darauf gibt es jetzt öffentlich viele ideologische Antworten von CNN-Hassern, Rechtspopulisten interpretieren die Entscheidung als Sieg; der einstige US-Präsident Donald Trump veröffentlichte ein Statement, in dem es heißt: "Gratulation an CNN+, den Betrieb sofort einzustellen wegen fehlender Einschaltquoten - oder Zuschauern auf irgendeine Art und Weise. Es war wie eine karge Wüste. Auf jeden Fall ist es ein Stück weniger von CNN und Fake News, mit dem wir uns herumplagen müssen."

Aus dem Umfeld von CNN ist zu hören, dass der groß angekündigte und brachial vermarktete Start (mit Eröffnungsparty im Peak, ein Restaurant im 101. Stock eines Wolkenkratzers in Midtown Manhattan) holprig verlaufen ist, trotz 150 000 Abonnenten laut CNN sollen nie mehr als 10 000 Leute gleichzeitig zugesehen haben.

CNN+ war die Herzensangelegenheit von Warner-Media-Chef Jeff Zucker - doch der ist nicht mehr da

Der rechtskonservative Pulitzer-Preis-Gewinner Glenn Greenwald schrieb bei Twitter: "Das Leben von CNN+ war kurz; wer gezwinkert hat, der hat es verpasst", und wurde beinahe poetisch: "Das Licht, das es auf die Welt geworfen hat, war stumpfsinnig, banal und sinnlos. Wie ein Windhauch, von dem man sich nicht sicher ist, dass er überhaupt vorbeigeweht ist."

CNN+ verpflichtete bekannte Leute, etwa Chris Wallace von Konkurrent Fox News oder Audie Cornish vom öffentlich-rechtlichen Radio-Konglomerat NPR, dazu Promis wie die Schauspieler Eva Longoria oder Ethan Hawke. Es mietete ein weiteres Stockwerk im Hochhaus der Firmenzentrale an; alleine die Anfangsausgaben lagen laut Insidern bei etwa 120 Millionen Dollar.

Der Streamingdienst war die Herzensangelegenheit von Jeff Zucker, einst Chef des CNN-Mutterkonzerns Warner Media. Erstens musste Zucker die Firma im Februar verlassen, weil er eine Liaison mit einer Mitarbeiterin verheimlich hatte; zweitens fusionierte das Unternehmen kürzlich mit Discovery. Dessen Chef David Zaslav war gegen viele Streamingportale in einem Haus, er will als Leiter des neuen Gesamtkonzerns die Plattformen Discovery+ und HBO Max zu einem Giga-Portal vereinen und als Konkurrenz zu Netflix, Amazon Video oder Disney+ aufbauen. Das führte zu dieser, wie Licht sagte, einzigartigen Scheiß-Situation: "Es ist, als hätte jemand ein wunderschönes Haus gebaut - aber der neue Eigentümer braucht stattdessen eine Wohnung."

Die Strategie von Zaslav ist nachvollziehbar. Netflix zum Beispiel hat gerade einen Rückgang um 200 000 Abos vermeldet, fürs aktuelle Quartal prognostiziert der Konzern sogar zwei Millionen weniger. Das sorgte für Panik bei den Anlegern, und es sorgte für Nachdenken bei Verantwortlichen der Portale - von denen es immer mehr gibt. Zaslav setzt auf Größe. Die geplante Plattform soll genügend Inhalte bieten, damit Leute ein Abo abschließen und es nicht mehr kündigen.

Es dürfte Entlassungen geben, als sicher gilt aber auch, dass die prominenten Zugänge und zahlreiche Reporter und Mitarbeiter von CNN+ bei CNN unterkommen werden; und es gilt als durchaus wahrscheinlich, dass es im Giga-Streamingportal von Warner Bros. Discovery ein News-Angebot geben wird. Licht sagte bei dem Meeting mit den Mitarbeitern: "Auch wenn die Entscheidung schwierig ist, so ist sie richtig für den langfristigen Erfolg von CNN."

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